Was macht Einkaufen nachhaltig? Dieser Frage gingen wir im Interview mit Lucia A. Reisch nach, die an der Copenhagen Business School und Zeppelin Universität Friedrichshafen als Professorin für Konsumverhalten und Verbraucherpolitik arbeitet und überdies Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung ist. Dabei erhielten wir auch eine Antwort darauf, wie ein nachhaltiger Konsumstil überhaupt in der Mitte der Gesellschaft ankommen kann.

Für mehr und mehr Lebensbereiche gibt es heute nachhaltige Alternativen und Produkte. Doch kann Konsum wirklich nachhaltig sein? Oder müssen wir lernen zu verzichten, um unseren Planeten vor dem Kollaps zu bewahren?
Konsum im Sinne von Kaufen und Verbrauchen kann nicht wirklich „nachhaltig“, sondern nur nachhaltiger sein. Es ist ein relatives Konzept. Selbstverständlich kann ein Produkt, das mit Ressourcen hergestellt wird und der Umweltmedien Wasser, Luft und Boden in der Produktion bedarf, nicht an sich nachhaltig, sondern nur ökologisch nachhaltiger als ein anderes sein. Im Bereich der sozialen Dimension kann man darauf achten, dass die Arbeitsbedingungen in Ordnung sind, insbesondere wenn in der Dritten Welt produziert wird. Ganz ressourcenfrei kann man nur dann sein, wenn in der Tat auf den Konsum verzichtet wird. Da wäre die Alternative zu sagen: „Ich brauche das Produkt selbst nicht als Eigentum, sondern ich nutze die Dienstleistung.“ Ein klassisches Beispiel aus dem Bereich der Mobilität ist es, kein Auto zu haben, sondern den öffentlichen Nahverkehr oder Car-Sharing zu nutzen. Solche Modelle nehmen zu, auch in ihrer Attraktivität.

Nachhaltig zu essen und zu trinken ist noch vergleichsweise einfach, aber wenn es etwa um Kleidung, IT-Geräte oder Möbel geht, wird es schon schwieriger. Was sind Ihrer Meinung nach derzeit die größten Hindernisse, die nachhaltigem Konsum im Weg stehen?
Wenn man nachhaltigen Konsum verbreitern will, muss es einen einfachen und direkten Zugang zu den Produkten geben. Im Bereich der Lebensmittel gibt es praktisch flächendeckend ein relativ attraktives Angebot als Alternative. Bei Textilien oder Möbeln gibt es das nicht. Der Konsument muss sich vorab informieren und Labels kennen, die nicht so bekannt sind. Und er muss suchen, wo es dieses Angebot überhaupt gibt. Das ist meines Erachtens das größte Hindernis. Nachhaltiger Konsum ist nicht der „normale“ Konsum, denn er ist keine Gewohnheitsentscheidung. Ich brauche ein gewisses Wissen, dass es überhaupt unterschiedliche Alternativen gibt, und auch ein Problembewusstsein. Oft muss ich auch bereit sein, einen höheren Preis zu bezahlen. Das ist aufwendiger und komplizierter – über alle Konsumbereiche hinweg.

Nachhaltiger Konsum ist zwar ein Trend, aber noch weit von der gesellschaftlichen Mitte entfernt. Wie kann man einen nachhaltigen Lebensstil massentauglich machen?
Zwei Dinge sind hier besonders wirksam. Das eine sind so genannte Defaults oder Voreinstellungen. Ein Beispiel: wenn Sie neu in eine Stadt kommen und Sie haben die Wahl zwischen konventionellem und Ökostrom. Ist Ökostrom die bereits voreingestellte Alternative, dann nehmen Sie diese auch in der Regel. Denn Menschen tun sich sehr viel schwerer damit, etwas abzulehnen, als darin zu verbleiben. Das ist eine der grundlegenden Verhaltenstendenzen von Menschen. Man muss also etwas an den Rahmenbedingungen ändern. Der zweite große Ansatz sind soziale Normen. Was machen die für mich relevanten Bezugsgruppen um mich herum? Und auch das kann man entsprechend kommunizieren. Das sieht man beispielsweise in manchen Hotels. Da steht dann: „Acht von zehn Hotelgästen, die in diesem Zimmer übernachten, benützen ihre Handtücher mehrfach.“ Der Hinweis auf das, was andere in dieser Situation tun oder lassen, funktioniert auch gut bei Jugendlichen, die sonst nur sehr schwer zu erreichen sind.

Verbraucherpolitik ist eines Ihrer Forschungsgebiete – was kann die Politik tun, um nachhaltigen Konsum zu fördern?
Ganz wichtig wäre, dass es endlich ein einheitliches Siegel für Nachhaltigkeit gibt – so wie das grüne Bio-Siegel. Dass es nicht tausend verschiedene Labels gibt, die die Verbraucher im Grunde verwirren, und keiner weiß, was eigentlich glaubwürdig ist und was nicht. Sollte es kein einheitliches Label geben, müsste sich die Politik zumindest darauf einigen, dass sie eine Art Zertifizierung oder Qualitätssicherung für Nachhaltigkeitslabels vornimmt. Ein ganz großes Thema ist auch die nachhaltige Beschaffung. Der Staat selbst ist ein Nachfrager, der den Markt gestalten kann. Nachhaltige Beschaffung ist mittlerweile als Teil der Nachhaltigkeitsstrategie auch vom Kanzleramt gewollt.

Unterscheiden sich die europäischen Verbraucher in ihrem Einkaufsverhalten?
Franzosen schätzen das Essen mehr und geben insgesamt mehr Geld dafür aus. In Dänemark gilt das für alles, was mit Design rund ums Haus zu tun hat. Die Deutschen sind insgesamt äußerst preisbewusst – vor allem wenn es um Lebensmittel geht. Kulturelle Unterschiede spielen zwar eine Rolle, aber man weiß aus der Forschung, dass es grundlegende Verhaltensweisen gibt, die fast auf alle Menschen weltweit zutreffen. So gibt es zwar große Unterschiede beim Pro-Kopf-Verbrauch von Bio-Lebensmitteln. Wenn man sich das genauer anschaut, dann sieht man, dass es ganz viel mit den Strukturen zu tun hat. In Dänemark, Österreich und in der Schweiz werden mit Abstand am meisten Bio-Lebensmittel gekauft. Diese drei Länder haben auch schon lange – teilweise seit 20 Jahren – ein staatlich geführtes, einheitliches Bio-Siegel. Daher gab es dort diese Verwirrung nicht, die in Deutschland bis Anfang der 2000er Jahre vorgeherrscht hat. Das ist natürlich sehr förderlich für den Markt und strahlt eine hohe Glaubwürdigkeit aus. Hilfreich ist in diesen Ländern auch die starke Subvention und Förderung der ökologischen Landwirtschaft. Das zeigt: Ein leichter Zugang zu attraktiven Produkten, staatliche Förderung ─ damit der Preisabstand nicht zu hoch wird –, entsprechende Kommunikationskampagnen und staatlich zertifizierte Labels sind die eigentlichen Haupttreiber.