Vor zehn Jahren ist die Crowdfunding-Plattform Startnext aus Dresden an den Markt gegangen und hat Crowdfunding in Deutschland mit groß gemacht. Tino Kreßner, Co-Gründer von Startnext, hat uns erklärt, was die Crowd kann, das Banken nicht können. Außerdem hat er uns verraten, was sein großer Traum für die Zukunft von Startnext ist.

Startnext gibt es seit zehn Jahren. Was war 2010 der treibende Impuls für euch an den Markt zu gehen? Und wie hat sich dieser Impuls in den zehn Jahren verändert?

Tino Kreßner: In den zehn Jahren hat sich unsere Vision stark weiterentwickelt. Wir sind mit der Mission gestartet, um über Startnext eine vielfältige Kultur- und Kreativlandschaft zu fördern. Crowdfunding in Deutschland ist in den Bereichen Film, Musik, Buchautoren und Journalismus gestartet – in Bereichen also, in denen die Projektinitiatoren*innen schon eine Community haben. Dort hatten sie die Möglichkeit zu testen, wer heute schon bereit ist für das zu zahlen, was er oder sie in der Zukunft konsumieren möchte, zum Beispiel ein Buch.

Hinzu kommt, dass es für viele Projekte aus der Kultur- und Kreativlandschaft schwer war an Finanzierungen zu kommen. Sie mussten sich bei unterschiedlichen Geldgebebern, etwa bei Banken, Förderinstituten oder CSR-Abteilungen immer wieder neu bewerben und versuchen sich an die jeweiligen Förderprogramme anzupassen. Sie mussten das machen, obwohl sie eine Community hatten, die bereit war Projekte vorzufinanzieren. Kurz gesagt: Unsere Motivation zu Beginn war die Etablierung einer demokratischen Finanzierung durch Fans unabhängig von Gatekeepern. Das wurde durch die wachsende Social-Media-Bewegung und die wachsende Akzeptanz von Online-Payment getragen.

Tino Kreßner

Und heute?

Tino Kreßner: Heute ist Crowdfundig viel mehr als Finanzierung. Startnext als Crowdfunding-Plattform sieht sich heute vielmehr in der Förderung von nachhaltigen und reflektierten Unternehmer*innen. Businesses, die weg von dem freien, unregulierten Turbokapitalismus wollen, die auf ein nachhaltiges Wirtschaften gehen und Impact-getrieben sind. Die Crowd wird von diesen Unternehmern schon sehr früh partizipativ in den Prozess eingebunden.

Wie hat Crowdfunding das Unternehmertum seit 2010 verändert?

Tino Kreßner: Was wir mit Crowdfundig erreichen, ist, dass Gründer*innen sehr viel früher raus gehen und früher über ihr Vorhaben sprechen. Bei klassischen Finanzierungen gibt es üblicherweise sehr viele „Hinterzimmergespräche“ mit Gründer- und Fördermittelberatern. Im Crowdfunding sorgen wir für Transparenz im Gründungsprozess von der Idee, über die Kommunikation, bis hin zum Finanzierungsbedarf. Wir motivieren die Gründer*innen frühzeitig über ihre Idee zu sprechen und das Vorhaben transparent darzustellen. Daraus hat sich eine neue Gründerkultur entwickelt. Gründer*innen können sich heute viel besser von anderen inspirieren lassen. Ein Beispiel sind die unverpackten Supermärkte. Über 100 davon sind bei uns gestartet. Aus meiner Sicht haben wir zudem mitverändert, dass die Menschen hinter den Unternehmen, hinter den Projekten sichtbar werden. Wir haben ganz stark in die Richtung beraten nicht die Marken und Logos in den Mittelpunkt zu stellen, sondern die Menschen und die Gesichter. Diese Entwicklung hat auf Unternehmen und in Ladenregale abgefärbt.

Speziell Social Entrepreneurship finanziert sich oft über die Crowd. Was kann Startnext, das Banken und Förderer nicht können?

Tino Kreßner: Startnext interessiert sich im Gegensatz zu konventionellen Investoren nicht für die kurzfristige Rückzahlung der Gelder. Es geht uns nicht um Beteiligungen, Darlehn oder Kredite. Die Unterstützer haben nicht  das Interesse, dass ein Unternehmen Profite erzielt und dass wir schnell damit Geld verdienen. Die Menschen, die Geld auf Startnext geben, haben lediglich das Interesse, dass das Vorhaben, das sie unterstützen, umgesetzt wird. Außerdem möchten sie das, was ihnen versprochen wurde, auch geliefert bekommen. Alles andere ist für die Unterstützer*innen zunächst nicht von Bedeutung. Auch wir als Startnext machen keine Cashflow-Analyse. Wir schauen uns keinen Businessplan an. Wir schauen rein auf das Produkt, auf das Storytelling der Gründer*innen. Wenn es genügend Leute gibt, die das Produkt oder die Leistung cool finden, werden die Projekte erfolgreich finanziert. Die Geldgeber*innen werden so später zu Kunden*innen und haben kein wirtschaftliches Interesse an dem Unternehmen. 

Zur Person

Tino Kreßner

Tino Kreßner ist Crowdfunding-Pionier in Deutschland und Mitgründer der Crowdfunding-Plattform Startnext.com. Mit der Finlane GmbH bietet er die Crowdfinancing-Technologie als Whitelabel-Dienstleister an. Tino Kreßner ist Co-Autor vom „Crowdfunding Handbuch“ und Gründungsmitglied des Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland.

 

Wenn die klassischen Merkmale für eine Finanzierung nicht mehr wichtig sind, welche anderen sind dann von Interesse?

Tino Kreßner: Dadurch, dass die Unterstützer*innen sich nicht für Faktoren, wie einen Businessplan, Cashflow oder die Sicherheiten der Gründer*innen interessieren, rücken andere Faktoren ins Zentrum: Zum Beispiel der Produktionsprozess. Die Crowd fragt nach Aspekten der Nachhaltigkeit, nach ressourcenschonenden Produktionsweisen. Fragen wie „Wie wird das Produkt hergestellt?“, „Wo wird es hergestellt?“ oder „Wie viel CO2 produziert das?“ sind plötzlich wichtig. Für Unternehmer*innen, die sich auf einer Corwdfunding-Plattform präsentieren, steht somit nicht die Frage nach einer maximalen Rendite im Zentrum, sondern Transparenz und Nachhaltigkeit.

Wir würden uns gerne als Plattform mitpositionieren, die diese Art von Unternehmertum zur Lösung unserer sozial-ökologischen Probleme mit einer eigenen Finanzierung mitbefördern kann.
Tino Kreßner

Die Pandemie trifft insbesondere viele kleine Unternehmen, Startups und Selbstständige hart.  Was kann Crowdfunding in Krisenzeiten bewirken? Wird es in solchen Zeiten besonders gebraucht?

Tino Kreßner: Damit haben wir uns dieses Jahr – insbesondere zu Beginn der Krise im März – viel beschäftigt. Dabei stand die Frage im Mittelpunkt, ob Crowdfunding auch ein Instrument sein soll, um Vorhandenes zu erhalten. Bislang war es ja eine Möglichkeit, um Neues in die Welt zu bringen. Wir haben gemerkt, dass wir ein sehr einfaches Tool haben, um schnell und unbürokratisch Geld zu sammeln. Wir haben auch gespürt, dass viele Gründer*innen und Kreative sich derzeit nicht in der Lage fühlen Geld für etwas Neues zu sammeln. Vielen ging es darum, etwas zu retten. Wir haben deshalb zum ersten Mal in zehn Jahren unsere Prinzipien hinterfragt. Wir haben es Projektinitiatoren*innen zum ersten Mal überhaupt freigelassen, ob sie Gegenleistungen anbieten oder ob sie einfach nur Geld zum Erhalt sammeln wollen. Wir haben darüber hinaus das Alles-oder-Nichts-Prinzip für diese Projekte ausgesetzt, also das Prinzip einen bestimmten Beitrag einsammeln zu müssen, damit das Projekt überhaupt gefunded werden kann. Es ging und geht einfach darum, jeden Euro zu sammeln. Und das hat funktioniert – beispielsweise für Restaurants, die Gutscheine angeboten haben. Jetzt in der zweiten Welle sehe ich uns insbesondere für die Soloselbstständigen, die aus meiner Sicht fahrlässig vernachlässigt wurden, als eine gute Plattform, um kurzfristig und schnell wieder Geld zu sammeln.

Was würdest du gerne einmal über Startnext funden?

Tino Kreßner Mein Traum bei Startnext ist es, gemeinsam mit der Crowd einen 100 Millionen Euro schweren Impactfonds aufzulegen. Wir glauben, dass viele von den Social Entrepreneurs Probleme bei der Kapitalbeschaffung haben. Sie haben es schwer im klassischen Bereich mit ihren Ansprüchen und ihrer Renditelogik Finanzierungen zu finden. Wie glauben, dass es genau diese Unternehmen und Projekte sind, die heute an gesellschaftlichen und ökologischen Lösungen arbeiten. Wir würden uns gerne als Plattform mitpositionieren, die diese Art von Unternehmertum zur Lösung unserer sozial-ökologischen Probleme mit einer eigenen Finanzierung mitbefördern kann.