„Denn auch wenn wir gar nichts verändern, ändert sich viel – nur nicht zum Guten“ (S. 184) ist einer der längeren Sätze im Buch. Wohltuend diszipliniert verzichtet die Professorin und Generalsekretärin des ‚Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen‘ auf lange, professoral verschachtelte Sätze.

Maja Göpel ist auch eine Mitbegründerin der ‚ScientistsForFuture‘, der 26.000 deutschsprachigen Wissenschaftler, die die jugendlichen Proteste für besseren Klimaschutz unterstützen. Dieses Buch reicht aber weit über die Bekämpfung des Klimawandels hinaus und beleuchtet die für eine widerstandsfähige menschliche Zukunft (Resilienz) notwendigen Veränderungen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft.

„Wir leben in krisenhaften Zeiten, und in Krisenzeiten ergibt es sehr viel Sinn, nicht mehr auf das zu starren, was wir individuell verlieren könnten (S. 179)“. ‚Krise‘ bezieht sich nicht auf Corona, sondern den Klimawandel und seine Folgen. Aber aktuell lernen weite Teile der Menschheit, was diese Aussage in diesen Zeiten beinhaltet.

Ein großes, sogar sehr großes Thema, zu dem die Autorin einlädt mitzudenken. Auch für den bloggenden Wirtschaftswissenschaftler ist nicht alles ‚leichte Kost‘, insbesondere nicht gegen Mitte des Buchs, in dem M. Göpel das Theoriegebäude der Ökonomie kritisch beleuchtet. Aber es gelingt, die großen, übergeordneten  vermeintlich politischen oder sogar ideologischen Anforderungen der Welt in das Empfinden des Lesers zu führen: „Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) misst alles außer dem, was das Leben lebenswert macht (S. 80)“ zitiert sie Robert Kennedy. Einfacher Sachverhalt: Elternzeit senkt das BIP „Denn das Wohlgefühl des Kindes und der Eltern, die ihr gemeinsames Leben zusammen beginnen, zählt hier nicht (S. 79). Wirtschaften jenseits des ewigen Wachstums klar verständlich gemacht!

Das Buch führt geschickt durch 250 Jahre Geschichte der Wirtschaftswissenschaften und benachbarter Disziplinen. Und es verknüpft Theorien geschickt mit dem Erleben des nicht fachlich vorbelastetem Leser, der empfundenen Lebensqualität. Hieran knüpft M. Göpel vermeintlich übergroße Fragen nach Wertvorstellungen wie z.B. gesellschaftliche Gerechtigkeit und die Rolle des Staates in Wirtschaft und Gesellschaft. In Krisenzeiten beklagt kaum jemand die helfenden Maßnahmen des Staates, z.B. durch Kurzarbeitergeld und Liquiditätshilfen, wohl aber Beschränkungen zur Sicherung des Gemeinwohls (S. 141ff.).

Die Auseinandersetzung mit der Rolle des Staates in Wirtschaft und Gesellschaft (S. 136ff.) ist ein Schlüsselkapitel. Hier werden die Leser/-innen anhand von Fakten und weitestgehend politikfrei zu einer Auseinandersetzung mit den Vor- und Nachteilen staatlichen Handelns angeregt. Und fast beiläufig geht es um Wertvorstellungen: Ist es fair, dass Technologiekonzerne zwar von staatlichen Ausgaben für Forschung und Rüstungsentwicklung profitieren bzw. ihre Geschäftsmodelle darauf aufbauen, im Gegenzug aber Steuerzahlungen vermeiden?

Immer wieder gelingt es der Autorin, übermächtige Fragen bzw. übergeordnete globale Probleme mit dem individuellen Erleben zu verbinden. So auch bei dem umstrittenen Thema CO2-Besteuerung. Die abstrakte und globale Sicht wird ganz einfach mit einem Beispiel aus dem Straßenverkehr illustriert, z.B. durch die Fahrzeuggröße (S. 105f.): Mehr Innenraum und höhere passive Sicherheit größere Fahrzeuge bedeutet gleichzeitig auch weniger Außenraum und geringere passive Sicherheit für kleinere. Darum geht es bei „neu denken“ im Kern: Die Berücksichtigung externer und zukünftiger Effekte. Und so wird aus einer vermeintlich politischen Frage nach ökologischen Zielvorstellungen vor allem eine soziale Frage nach dem zukünftigen menschlichen Zusammenleben (S. 163).

Das Buch von Maja Göpel ist eine weitere unter den unzähligen Forderungen zur nachhaltigen Gestaltung von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft, aber eine sehr subtile. Es ist kein weiterer Aufruf zu kollektiver Vernunft wider fehlende individueller Einsicht. Stattdessen soll es gerade die individuelle Einsicht befördern, dass nur kollektive Vernunft die Lebensbedingungen zukünftiger Generationen sicherstellen kann. Und es ist ein Appell an den gesunden Menschenverstand bzw. den „Bauch“ der Menschen, jenseits von Ideologien – passend zu dem Programm, dass sich die Autorin selbst gegeben hat: Sie twittert unter @beyond_ideology.

Text: Ralf Breuer