Vor einem Jahr um diese Zeit war ich recht hoffnungsvoll. Der größte Teil der Welt war immer noch im Lockdown, aber die Treibhausgasemissionen waren erheblich reduziert worden. Und ich konnte mir schlichtweg nicht vorstellen, dass wir nach Corona wieder in die alte fossile Welt zurückkehren. COVID ist der Wendepunkt, war ich überzeugt.

Leider lag ich falsch - sehr falsch. Ende 2020 haben die Emissionen wieder ihr „normales“ Level erreicht und steigen seither stetig an. Dies hat erneut gezeigt, dass die globale Wirtschaftstätigkeit nicht von den Treibhausgasemissionen entkoppelt werden kann. Wir sind weiter denn je von den Zielen des Pariser Klimaabkommens entfernt.

Hans Stegeman

Wie kann es also sein, dass Länder, Unternehmen und der Finanzsektor immer noch versprechen, dass die Emissionen innerhalb weniger Jahrzehnte "netto null" erreichen werden? Um dies zu erreichen, wäre eine jährliche Emissionsreduktion erforderlich, die sogar die des COVID-Jahres 2020 übersteigen würde. Ihr derzeitiges Handeln entspricht diesen ambitionierten Zielen nicht.

Es gibt eine Lösung: weniger Wachstum

Die meisten Versprechen beginnen mit kreativer Buchführung. Es folgen Jonglieren mit End- und Startterminen, vage Zwischenziele, Veräußerungen von Unternehmensteilen (vorzugsweise der umweltschädlichsten) und Äußerungen wie "relativ" und "netto" statt einfach: "keine Emissionen".

Hinzu kommt eine große Portion Hoffnung auf neue, unbewiesene Technologien. Der Anteil von Solar- und Windenergie mag rapide ansteigen, aber die Rolle von Wasserstoff als Energiequelle, die mit Ökostrom erzeugt wird, ist ein weiteres entscheidendes Element dieses Übergangs. Es ist durchaus zweifelhaft, ob dieser schnell genug entwickelt wird.

„Netto“ ist der Schlüsselbegriff in dieser Bilanzierungsrunde. Denn netto erlaubt auch Maßnahmen, um Treibhausgase aus der Atmosphäre zu extrahieren, anstatt die Emissionen als solche zu reduzieren. Eine solche Extraktion könnte darin bestehen, Kohlenstoff in erschöpften Erdgasfeldern zu speichern oder mehr Natur zu schaffen, zum Beispiel durch Wiederaufforstung.

Beide Optionen würden die Ursache nicht beseitigen, obwohl mehr Natur die bessere Lösung von beiden ist. Zumindest würde dies einen positiven Beitrag zur Biodiversität leisten, statt das Problem nur zu verschleiern. Aber auch das ist nicht ohne Risiko: Wann gleicht eine solche Ausgleichsmaßnahme wirklich aus? Wie können wir sicher sein, dass tatsächlich neue Natur entsteht und es sich nicht nur um eine kreative Bilanzierung (double offsetting) handelt, bei der sich nichts ändert und die Ziele nicht einen Schritt näher rücken?

Und so drücken wir uns immer wieder vor der Diskussion, die wir eigentlich führen müssten. Denn es gibt eine andere Lösung: weniger Wachstum und damit weniger Emissionen. Aber anstatt über diese Option ernsthaft nachzudenken, reden wir jetzt lieber Unsinn über Netto-Null.