Der bekannte Philosoph, Autor und Triodos-Kunde Roman Krznaric ist einer der führenden Philosophen Großbritanniens. Seine Bücher wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Sein neuestes Buch, 'The Good Ancestor: How to Think Long Term in a Short-Term World" befasst sich mit der Notwendigkeit, langfristige Herausforderungen anzugehen - vom Klimanotstand bis hin zu den Bedrohungen durch künstliche Intelligenz.

Wir haben mit Roman Krznaric gesprochen, um mehr über sein Buch zu erfahren soeiw darüber, wie wir unsere Organisationen und Gesellschaften so gestalten können, dass sie in Zeiten zunehmender Unsicherheit widerstandsfähiger werden. Außerdem wollten wir wissen, wie wir "gute Vorfahren" für zukünftige Generationen werden können.

 

Herr Krznaric welche Probleme sehen Sie in der Gesellschaft, wie sie jetzt ist?

Wir leben in einer Welt des chronischen Kurzfristdenkens. Das zeigt sich in der Politik, der Wirtschaft und im Geschäftsleben. Und es gilt auch für den/die Einzelne:n - wir schauen ständig auf unsere Handys und klicken auf "Jetzt kaufen".

Das Problem, besonders in den wohlhabenden Ländern, ist, dass wir die Zukunft kolonialisiert haben. Wir sehen die Zukunft als einen fernen Außenposten, auf dem wir ökologische Degradation und Risiken frei abladen können, als ob es dort niemanden gäbe. Die Tragödie ist, dass die zukünftigen Generationen nicht hier sind, um die Plünderung ihres Erbes zu sehen - sie können nicht protestieren und werden aus den politischen und wirtschaftlichen Systemen herausgeschrieben.

Wie können wir anfangen, über diese zukünftigen Generationen nachzudenken?

Es kann schwer sein, das Ausmaß zu begreifen. Sehen Sie es einmal so: Heute leben 7,7 Milliarden Menschen auf der Erde. In den letzten 50.000 Jahren wurden schätzungsweise 100 Milliarden Menschen geboren und sind gestorben. Wenn man diese Zahlen hochrechnet, werden sie von den 6,75 Billionen Menschen, die in den nächsten 50.000 Jahren geboren werden, bei weitem übertroffen - vorausgesetzt, die derzeitigen Geburtenraten pendeln sich ein und stabilisieren sich.

Es stellt sich die Frage, wie zukünftige Generationen uns danach beurteilen werden, was wir getan oder nicht getan haben, als wir die Chance dazu hatten: Waren wir gute Vorfahren?

Wir sehen die Zukunft als einen fernen Außenposten, auf dem wir ökologische Degradation und Risiken frei abladen können, als ob es dort niemanden gäbe.
Roman Krznaric 

Bei welchen Problemen kann langfristiges Denken helfen?

Bei einer breiten Palette von Problemen. Wir brauchen langfristiges Denken, um mit der nächsten Pandemie umzugehen, die vielleicht am Horizont auftaucht, um den technologischen Risiken durch künstliche Intelligenz oder Biowaffen zu begegnen, um rassistische Ungerechtigkeit zu bekämpfen und natürlich auch, um die globale ökologische Krise zu bewältigen. Die Notwendigkeit für langfristiges Denken ist dringend - wir brauchen es genau hier und jetzt.

Wie können wir besser darin werden, langfristig zu denken?

In meinem Buch skizziere ich sechs Hauptwege, wie wir auf langfristiges Denken umschalten können. Diese sind:

  • Tiefe Demut - begreifen, dass wir ein Wimpernschlag in der kosmischen Zeit sind
  • Vermächtnis-Mentalität - von der Nachwelt gut in Erinnerung behalten werden
  • Intergenerationelle Gerechtigkeit - die siebte Generation vorausdenken
  • Kathedralen-Denken - Projekte über eine Menschenlebenszeit hinaus planen
  • Holistische Vorhersage - mehrere Wege für die Zivilisation vorhersehen
  • Transzendente Ziele - Streben nach dem gesamten Gedeihen auf unserem Planeten

Eine der Aktivitäten, um die ich die Leute bitte, ist, dass sie ihre Augen schließen und sich ein Kind vorstellen, das ihnen wirklich am Herzen liegt. Ich bitte sie, sich dieses Kind so vorzustellen, wie es jetzt ist, und dann 30 Jahre in der Zukunft, und dann an seinem 90. Geburtstag. Was für eine Welt sieht dieser Mensch beim Blick aus dem Fenster? Was sagt er über Sie, seinen verstorbenen Vorfahren? Das ist ein guter Weg, um sich mit kommenden Generationen zu verbinden - nicht in Science-Fiction, sondern im intimen Familienrahmen. Das ist der Beginn eines Vermächtnisgedankens. 

Gibt es positive Beispiele dafür, wie wir bereits gute Vorfahren sind?

Was die Gerechtigkeit zwischen den Generationen angeht, gibt es viele interessante Beispiele. In den USA hat sich Our Children's Trust direkt vom Denken der "siebten Generation" inspirieren lassen - ein Prinzip, das von den indigenen Gemeinschaften Nordamerikas stammt, um bei allen Entscheidungen die Auswirkungen auf zukünftige Generationen zu berücksichtigen. Er hat eine juristische Kampagne gegen die Regierung gestartet, weil sie die Rechte der jungen Menschen auf ein stabiles Klimasystem verletzt. Es gibt auch Bewegungen, die der lebendigen Welt rechtliche Rechte zugestehen, wie zum Beispiel dem Whanganui Fluss in Neuseeland.

Oder der Svalbard Global Seed Vault in Norwegen will die Pflanzenvielfalt der Welt bewahren und in der texanischen Wüste wird die "Clock of the Long Now" gebaut, die die Zeit für 10.000 Jahre anhalten soll.

Näher an der Heimat inspiriert mich der Well-being of Future Generations Act in Wales, der die Auswirkungen der öffentlichen Politik bis zu 30 Jahre von heute an betrachtet. Derzeit liegt dem Parlament ein Gesetzesentwurf vor, der dieses walisische Modell auf ganz Großbritannien übertragen soll.

Was würden Sie jemandem raten, der sich auf den Weg macht, eine langfristige Denkweise zu entwickeln?

Sie können sich auch jeden Tag fragen: "Bin ich ein guter Vorfahre, bin ich eine gute Vorfahrin?“ Das könnte zum Beispiel beim Einkaufen sein. Nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um innezuhalten und über die weiteren Auswirkungen dessen nachzudenken, was Sie kaufen - wie es angebaut oder hergestellt wurde, und wie es transportiert wurde. Ist es die Tat eines guten Vorfahren, nicht auf  "Jetzt kaufen" zu klicken? Gehen Sie schließlich in die Organisationen, denen Sie angehören - Gemeindegruppen, religiöse Gruppen, Unternehmen - und fragen Sie sie: Haben wir einen 100-Jahre-Nachhaltigkeitsplan?

Roman Krznaric

Roman Krznaric ist ein Philosoph, der über die Macht der Ideen schreibt, die Gesellschaft zu verändern. Nach seinem Studium an den Universitäten von Oxford, London und Essex lehrte er Soziologie und Politik an der Universität Cambridge und der City University, London. Als Gründer des weltweit ersten Empathie-Museums wurde Roman von der britischen Zeitung „The Observer“ als einer der führenden populären Philosophen Großbritanniens bezeichnet. Seine Bücher wurden in mehr als 20 Sprachen veröffentlicht. Er ist mit Kate Raworth, Ökonomin und Autorin bekannten Donut Ökonomie, verheiratet. In einem Interview mit der niederländischen Zeitung „De Volkskrant“ beschrieb er, wie er vor kurzem Kunde bei der Triodos  Bank geworden ist - als Teil seiner Bemühungen, seinen negativen Einfluss zu reduzieren und Gutes für zukünftige Generationen zu tun. Sein neues Buch "The Good Ancestor: How to Think Long Term in a Short-Term World" ist auf Englisch erhältlich.