Eine große Waldfläche inmitten der Stadt Strausberg in Brandenburg: Etwas versteckt liegt hier das Alte Postgelände, auf dem unter strengster Geheimhaltung zu DDR-Zeiten ein großer Nachrichtenbunker errichtet wurde. Hier lief das „Sondernetz-1“ zusammen, mit dem Militär, Politik und Sicherheitsbehörden während des Kalten Kriegs miteinander kommunizieren konnten. Auf dem Papier existieren sämtliche Gebäude auf dem Gelände deswegen nicht – noch nicht. Matthias Merkle, Antje Borchardt und Melanie Seeland bemühen sich seit Kauf des Geländes 2012 darum, die inoffiziellen Gebäude nachträglich anerkennen zu lassen. Denn sie haben einiges damit vor.

Die Schmorküche
Feine  und regionale Küche: Die Schmorpost

Ich treffe das Trio vor der erst kürzlich eröffneten Gaststätte Schmorpost. Der kleine weiß und rot bemalte Bau, gleich am Eingang des Geländes, ist eine ehemaligen Wache. Dahinter befinden sich einige Sitzgelegenheiten, die jetzt im Winter vergebens auf Gäste warten. Vom Zaun her blöken mir erwartungsvoll Schafe entgegen. Wir betreten den warmen von Erdwärme beheizten Gastraum. Das Gelände sei ihnen quasi vor die Füße gefallen, erzählt die Dramaturgin Antje Borchardt. Ein Bekannter hatte es bei einer Versteigerung erworben, konnte seine Pläne aus verschiedenen Gründen aber nicht umsetzen. Somit wurden sie vor die Frage gestellt: Übernehmen wir das Areal? „Innerhalb von 14 Tagen haben wir beschlossen, dass wir es kaufen. Wir hatten eigentlich keinen Plan dafür und auch kein Kollektiv im Rücken, das uns bei der Projektentwicklung unterstützt“, berichtet Antje Borchardt. 

Kulturelle und nachhaltige Projekte

So musste sich der Plan mit der Zeit entwickeln: Kultur, mit dem Theater im alten Wasserwerk und dem Bunker, der nun in eine Gedenkstätte des Kalten Krieges umgewandelt wird, auf der einen Seite. Ökologie, mit dem Bau von klimafreundlichem Wohnraum, einer Imkerei, einem Holzatelier und vorwiegend regionaler und biologischer Küche in der Schmorpost auf der anderen Seite.

Die Drehbühne des Theaters im alten Wasserwerk

Von der Gaststätte aus sind es nur ein paar Schritte und der Wald beginnt. „Uns war von Anfang an klar, dass wir den Wald in Ruhe lassen wollten und dafür das bereits bebaute Gebiet als urbanes Quartier weiter verdichten“, sagt Antje Borchardt. Seit den 70er Jahren wurde der ca. 25 Hektar große Wald nicht mehr bewirtschaftet und konnte sich zu dem natürlichen Laubmischwald entwickeln, der er heute ist. Bäume entnehmen sie nur, wo es erforderlich ist, im Rahmen der Waldpflege. Diese werden dann im Holzatelier zu Möbeln oder Bühnenelementen weiterverarbeitet. Auch in den Sitzbänken und Türpfosten der Gaststätte sind Bäume aus dem Wald eingearbeitet.

Die Schmorpost wurde im Oktober 2021 eröffnet und wartet nun auf ihre Besucher mit hausgebackenem Focaccia, gefüllter Pasta und natürlich Schmorgerichten.

Uns war von Anfang an klar, dass wir den Wald in Ruhe lassen wollten und dafür das bereits bebaute Gebiet als urbanes Quartier weiter verdichten.
Antje Borchardt

Gerade stehen Matthias Merkle und Antje Borchardt noch selbst am Tresen und in der Küche, nicht nur coronabedingt, sondern auch aus Überzeugung: „Was wir hier machen ist kein Projekt, das man am Schreibtisch entwickeln kann“, meint der Regisseur Matthias Merkle. Vor Ort zu sein, sei gerade am Anfang absolut wichtig, auch damit die Gaststätte zum Gesamtkonzept des Geländes passe. Dazu gehört dann eben auch, die Pasta selbst zu füllen und an der Theke mit den Gästen ins Gespräch zu kommen. Noch muss es sich rumsprechen, dass es auf dem Alten Postgelände eine neue Gaststätte gibt. Aber das Gründungs-Trio ist optimistisch, dass sich die Schmorpost etabliert und sie die Gaststätte eines Tages in passende Hände übergeben können. Dann werden sie sich wieder dem nächsten Projekt auf dem Gelände zuwenden. So haben sie es auch mit dem ehemaligen Verwaltungsgebäude, gleich hinter der Schmorpost, gemacht. Das gehört mittlerweile einer Genossenschaft und wird heute als Hausprojekt und Ort und für soziale Projekte genutzt.

Theater von Anfang an ressourcenschonend denken

Wir brechen auf und gehen zum Theater im alten Wasserwerk. 2017 wurde „Die Andere Welt Bühne“ gegründet. Das Team unter der Leitung von Melanie Seeland und Inés Burdow wollte den Theaterbetrieb von Beginn an ökologisch und ressourcenschonend gestalten. Anfangs spielten sie noch in der leeren Industriehalle, später kamen eine sich drehende Raumbühne, von Matthias Merkle selbst entwickelt, und Sessel aus den Kammerspielen des Deutschen Theaters dazu. Im letzten Jahr wurde der Raum zeitgemäß mit einer Lüftungsmaschine ausgestattet, um vor Corona-Viren zu schützen. Die großen silbernen Rohre der Lüftung, die nostalgischen Theatersessel in dunkelgrün und der sechseinhalb Meter hohe drehbare Bühnenturm aus Kiefernholz verleihen dem Raum einen individuellen Charakter.

Der Eingang zum Gelände, Foto: Sarah Kröger

Auch das Theater wird mit regenerativen Energien beheizt, erzählt Melanie Seeland. Eine Wärmepumpe befördert die Wärme aus der Erde direkt in den Saal. Das ist nicht nur ökologisch, sondern spart auf die Dauer auch einiges an Betriebskosten. Durch die spezielle Bühnenkonstruktion kann das Theaterteam die Stücke zudem ganz anders inszenieren und vermeidet den sonst oft üblichen hohen Materialverbrauch beim Bühnenbild, sagt Melanie Seeland, Schauspielerin und Geschäftsführerin des Theaters. „Wir sind in unserem Theater-Umfeld eine der wenigen, die Nachhaltigkeit im Theater von Anfang an mitdenken können. Diese Idee von Nachhaltigkeit im Theater befördert eine eigene Ästhetik, das ist hier das Besondere.“

Ein Gelände für alle

Sobald der Bebauungsplan von der Stadt Strausberg abgesegnet ist, soll mit Hilfe der Triodos Bank neben dem Theater ein großes Atelierhaus mit Ateliers für Künstler*innen, Coworking-Raum und Gästezimmern gebaut werden. Auch das wieder möglichst nachhaltig. Das Atelierhaus wird mit Holz aus dem eigenen Wald gebaut, das vor Ort im Sägewerk und in der Tischlerei verarbeitet wurde. Damit entfallen die Transporte für wesentliche Baustoffe. Zudem wird mit Geothermie und Solarenergie geheizt. Später kommen noch mehrere Wohnhäuser hinzu, ca. 3.200 qm sind für WGs, Familien, Singles und andere alternative Wohnkonzepte geplant.

Egal ob Waldspaziergänger, Ausflügler, alteingesessene Strausberger, neuzugezogene Familien aus Berlin oder Nachbarinnen und Nachbarn – alle sind auf dem Gelände willkommen, als zukünftige Bewohner, Theatergäste oder Gaststättenbesucher. „Uns interessieren konstruierte Zielgruppen nicht“, sagt Matthias Merkle. Melanie Seeland ergänzt: „Am liebsten hätten wir eine wilde Mischung von Besuchern.“ Offen sein für möglichst viele unterschiedliche Menschen, heißt aber auch, dass nicht jeder Hipster-Trend aus Berlin mit in die Kleinstadt transportiert wird.

Das Gründungs-Team möchte Nachhaltigkeit, aber eine, die auch für Menschen zugänglich ist, die sich bisher noch nicht so viel mit dem Thema beschäftigt haben. Seine Philosophie wird mit einem Blick auf die Webseite der Gaststätte deutlich: „Wir wollen im besten Sinne "einfach" gut kochen, was jeder*m schmeckt und alle Kreativität unter diese Prämisse stellen. Es wird auch Veganes geben, nur ideologisiert wird nicht!“