Die Klimakrise wird ein beherrschendes Thema der kommenden Bundesregierung. Konflikte sind absehbar, auch mit den Landwirten. Denn die Umstellung auf eine klima- und umweltfreundliche Landwirtschaft kostet zunächst einmal Geld. Die Bauern werden das Land nicht mehr so intensiv wie bisher nutzen können. Zahlreiche für die Menschheit überlebenswichtige Tier und Pflanzenarten brauchen Lebensraum. Die Blühstreifen am Rande der Felder sind erste Zeichen der anstehenden Veränderungen. Über Ausgleichszahlungen an die Landwirtinnen und Landwirte verhandelt die EU derzeit.
Die Entscheidung wurde verschoben, die gemeinsame europäische Agrarpolitik (GAP) galt bereits als gescheitert, jetzt soll sie doch kommen. Jedes Jahr bezuschusst die Europäische Union (EU) die Landwirtschaft mit rund 60 Milliarden Euro. Davon fließen rund 6,3 Milliarden jährlich nach Deutschland. Jeder EU-Bürger zahlt dafür rund 114 Euro im Jahr. Zwischen 70 und 80 Prozent der Zuschüsse gehen direkt an die Landwirte. Bezahlt wird nach Fläche, die der Betrieb bewirtschaftet. Was die Bauern auf dem Land machen, spielt keine Rolle.
Hauptstreitpunkt: vor allem die sogenannten „Eco-Schemes“. Das sind die Zuschüsse, die Landwirte zusätzlich für Maßnahmen zum Klima- und Umweltschutz erhalten sollen. Das Europäische Parlament wollte dafür mindestens 30 Prozent der EU-Agrarsubventionen reservieren. Die Mehrheit der Landwirtschaftsminister war dagegen, obwohl die Agrarbetriebe mindestens ein Fünftel bis ein Viertel der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verursachen. Hinzu kommen die Klimabelastungen der Lebensmittelindustrie und die Verschwendung von Lebensmitteln. Rund ein Drittel der weltweit hergestellten Nahrungsmittel landet im Müll statt auf dem Teller. Dem Umweltbundesamt zufolge müssen allein die Treibhausgase aus der Landwirtschaft bis 2030 um 18 Prozent gemindert werden, wolle man die Klimaziele der Bundesregierung einhalten.
Die Lebensmittel-Preise an der Supermarkkasse verschweigen einen Großteil der Folgekosten für unsere Ernährung. Diese zahlen wir dennoch, etwa mit Wasser- und Müllgebühren und vielen weiteren Rechnungen. Eine Ursache ist die konventionelle Landwirtschaft. Diese überdüngt Böden mit Mineraldünger und Gülle, deren Rückstände in vielen Regionen Flüsse, Seen und das Grundwasser belasten. Die Wasserreserven sind mangels Niederschlägen ohnehin bedroht. Hinzu kommen die Rückstände von Ackergiften im Essen, der Energieaufwand für die Herstellung von Kunstdünger, die Antibiotika-Rückstände aus der Tiermast, die ebenfalls ins Grundwasser sickern und viele andere Faktoren, die Mensch und Umwelt schädigen. Allein die hohe Nitratbelastung des Grundwassers verursacht in Deutschland jährlich Schäden von etwa zehn Milliarden Euro.
Die ökologischen Folgekosten der weltweiten Landwirtschaft summiert die UN-Welt-Ernährungsorganisation FAO auf weltweit etwa 2,1 Billionen US-Dollar. Hinzu kommen soziale Folgekosten von rund 2,7 Billionen US-Dollar, zum Beispiel für die Behandlung von Menschen, die sich mit Pestiziden vergiftet haben. Britische Wissenschaftler haben in ihrer „True Cost“-Studie errechnet: Für jeden Euro, den die Menschen im Supermarkt für Lebensmittel ausgeben, entstünden versteckte, externe Kosten von einem weiteren Euro.
„Die Studie des Sustainable Food Trust und Berechnungen weiterer Institutionen zeigen, dass die meisten Bio-Lebensmittel günstiger sind als konventionell erzeugte, wenn man ihre wahren Kosten betrachtet“, schreibt zum Beispiel das Bundeszentrum für Ernährung. Warum ist das so?
Interessenvertreter der Agrar- und Lebensmittelindustrie machen dagegen geltend, dass man mit den Erträgen der Bio-Landwirtschaft die Welt nicht satt bekomme. So rechnet der Agrarchemie-Hersteller Bayer vor, dass die deutsche Weizenproduktion um zwölf Millionen Tonnen pro Jahr sinke, würde man Deutschland komplett auf Ökolandbau umstellen. Doch auf rund 70 Prozent der weltweit landwirtschaftlich genutzten Flächen wächst heute Tierfutter oder es grasen dort Rinder, Schafe oder Schweine. In Deutschland sind es mehr als 50 Prozent. Würden man auf den dafür geeigneten Äckern stattdessen pflanzliche Lebensmittel anbauen und würde die Menschheit weniger Lebensmittel wegwerfen könnten Bio-Bauern die Menschheit durchaus ernähren. Das errechneten Forscher bereits vor vier Jahren in einer Studie, die sie in „Nature Communications“ veröffentlicht haben. Dafür müssten wir uns auf pflanzliche Ernährung umstellen, dürften kaum noch Lebensmittel wegwerfen und die Nutztiere hauptsächlich mit Gras und Lebensmittelabfällen ernähren.
Das Problem für die landwirtschaftlichen Berechnungen: Bisher bezahlte den Landwirten niemand den Mehrwert, den sie für Artenvielfalt, Naturkreisläufe und für ihre jeweilige Region erbringen. Sauberes Wasser, gute Luft und gesunde Nahrungsmittel lassen sich nur schwer in Euro und Cent umrechnen. Deshalb hat die Regionalwert AG in Freiburg mit der „landwirtschaftlichen Leistungsrechnung“ im vergangenen Herbst ein Verfahren dafür vorgestellt. Auf der Internetseite www.regionalwert-leistungen.de können Bauern ihre Betriebsdaten eingeben. Erfasst werden 130 Leistungskennzahlen aus sieben Kategorien. Im Ergebnis erfahren die Landwirte, wie viel Mehrwert sie schaffen, in dem sie etwa junge Leute ausbilden, Blühstreifen für Insekten anlegen oder durch schonende Wirtschaftsweise die Bodenfruchtbarkeit erhalten. Das Ziel: Landwirte sollen Argumente dafür bekommen, dass sie den ökologischen Mehrwert, den sie schaffen auch bezahlt bekommen.
Andere Wege geht die Bioboden-Genossenschaft www.bioboden.de. Sie kauft von den Einlagen ihrer Mitglieder Land und Höfe, die sie an Bio-Bauern verpachtet. Das Problem: In vielen Regionen ist Ackerland inzwischen so teuer, dass es sich kleinere Betriebe und Berufseinsteiger kaum noch leisten können. Rentabel ist vor allem die konventionelle Landwirtschaft nur noch für Großbetriebe. 1950 gab es in Deutschland 1,6 Millionen Bauernhöfe. 2018 waren noch etwa 267.000. Allein in den letzten zehn Jahren hat jeder dritte Milchbauer aufgegeben.
Viele Bäuerinnen und Bauern würden ihr Land nachhaltiger, umwelt- und klimaverträglicher bewirtschaften, wenn sie damit mehr Geld verdienen könnten. Den weitaus größten Teil der Ernte kaufen jedoch nur wenige Verarbeiter, die ihre Produkte mangels Alternativen nur an die großen Lebensmittelketten liefern können: Edeka, Aldi, Lidl und Rewe sind die größten. Ihren Wettbewerb fechten sie über Kampfpreise aus. Den Preisdruck geben die Handelsketten an ihre Lieferanten weiter und diese an die Landwirte. Im April 2021 zahlten zum Beispiel die großen Molkereien in Westfalen den Bauern nur 29,7 Cent pro Liter. „Dafür können wir nicht produzieren“, sagt Landwirt Dennis Strothlüke in Bielefeld. Das Büro für Agrarsoziologie und Landwirtschaft hat allein die Kosten für die Milchproduktion mit mehr als 40 Cent pro Liter berechnet. Deshalb hat sich Strothlüke der Direktvermarktungsgenossenschaft Wochenmarkt24 angeschlossen (Forum berichtete in Heft .…) Im Internet kaufen die Verbraucher so direkt beim Bauern. So erhalten die Landwirte an den Handelsketten vorbei deutlich höhere Preise, ohne dass die Verbraucher dafür mehr bezahlen. Weil die Landwirte nur das produzieren und liefern, was vorher bestellt wurde, wird weniger weggeworfen.
Die GAP der Europäischen Union soll nun die Agrarpolitik „grüner“ machen. Bisher greift sie dabei jedoch zu kurz. Die Naturschutz-Organisation WWF kritisiert zum Beispiel, dass die EU dabei den Schutz der Gewässer und des Grundwassers zu wenig berücdksichtige. Dem Grünen-Europaabgeordneten Sven Giegold fehlt die Ausrichtung am „Green Deal“ der EU, dem Europäischen Rechnungshof der Fokus auf Emissionsminderung. 387 Milliarden Euro gibt die EU für ihre Agrarpolitik bis 2027 aus. Danach, dass die Landwirtschaft dadurch grüner, emissionsärmer wird und gleichzeitig die Bäuerinnen und Bauern ernährt, ist kaum absehbar.
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