Wir sind der Ansicht, dass Unternehmen Verantwortung haben, die Auswirkungen ihrer Aktivitäten zu untersuchen. Auch Finanzdienstleister sollten unserer Meinung nach jede Finanzierung vorab immer gründlich prüfen, denn jede Finanzierung hat Auswirkungen. Wir begrüßen daher die Entscheidung des Europäischen Parlaments von Anfang Juni, dem Entwurf eines EU-weit geltenden Lieferkettengesetzes (englisch: Corporate Sustainability Due Diligence Directive, kurz CSDDD) zuzustimmen. Unternehmen würden mit Inkrafttreten zu einem sorgfältigen Umgang mit den sozialen und ökologischen Auswirkungen entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette verpflichtet. Dies würde dann nicht nur die eigenen Geschäftstätigkeiten, Produkte und Dienstleistungen umfassen, sondern auch direkte und indirekte Lieferanten. Unternehmen würden bei Verstößen zur Verantwortung gezogen. Für den Finanzsektor bedeutet dies, dass er die Aktivitäten und Wertschöpfungsketten seiner Kunden mit der gebotenen Sorgfalt ebenfalls gründlich prüfen muss.  

Warum brauchen wir ein europäisches Lieferkettengesetz?  

Ein europaweit geltendes einheitliches Gesetz wird gebraucht zum Schutz der Menschrechte und der Umwelt, um insgesamt auf eine fairere und nachhaltigere globale Wirtschaft umzustellen.  
 
Weltweit arbeiten Millionen Menschen unter menschenunwürdigen Bedingungen. Zwangsarbeit und Kinderarbeit ist an der Tagesordnung. Löhne unter dem Existenzminimum sind keine Seltenheit. Viele Menschen arbeiten unter lebensgefährlichen Sicherheitsstandards und leiden lebenslang unter den gesundheitlichen Konsequenzen. Ein international in Erinnerung gebliebenes Beispiel ist der Einsturz der Textilfabrik „Rana Plaza“ in Bangladesch vor zehn Jahren. Aber auch in Anbetracht von Zehntausenden von Zwangsarbeitern, die es im chinesischen Xinjiang geben soll, ist ein solches Gesetz ein längst überfälliger Schritt. Das Lieferkettengesetz soll helfen zu verhindern, dass Produkte aus solch prekären Arbeitsbedingungen bei uns in Deutschland landen.   
 
Natur und Klima leiden ebenfalls an Umweltverstößen entlang der globalen Lieferketten mit verheerenden Folgen für die Zukunft und die Lebensgrundlage von Millionen Menschen. Weltweite Ausbeutung und Umweltzerstörung sind auch ein Teil der Lieferketten europäischer Unternehmen. Das EU-Lieferkettengesetz soll zur Erreichung der Ziele des Green Deal sowie der Ziele der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals) beitragen.  

Einzelne Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, haben bereits nationale Vorschriften zur Sorgfaltspflicht eingeführt oder planen dies zumindest. Die Kommission möchte mit ihrem Vorschlag auch eine Fragmentierung der rechtlichen Rahmenbedingungen verhindern und Rechtssicherheit sowie gleiche Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen im Binnenmarkt gewährleisten. Deutschland hatte bereits im Juni 2021 ein Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz verabschiedet, das seit dem Januar 2023 gilt. Die EU-Kommission geht mit ihrem Entwurf weit darüber hinaus.  
 
Ein positiver sozialer, ökologischer und kultureller Wandel war schon immer die Triebfeder für das Wirken der Triodos Bank als Finanzinstitut (siehe auch den Artikel über die Impact Vision der Triodos Bank), weshalb wir hoffen, dass das Gesetz zustande kommt. Es kann in Kraft treten, sobald das Europaparlament und der Ministerrat sich auf eine gemeinsame Position einigen. Danach müssen die EU-Staaten die Direktive innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umsetzen. Deutschland hat bereits 2021 ein Lieferkettengesetz verabschiedet. Die Bundesregierung müsste dieses dann nachträglich an die strengeren Anforderungen der Richtlinie anpassen. 
 
Für wen gilt das EU-Lieferkettengesetz? 

  • Europäische Unternehmen sowie in der EU tätige Firmen aus Drittstaaten ab 250 Mitarbeitenden und mehr als 40 Millionen Euro Umsatz weltweit fallen unter das europäische Gesetz, mit nach Unternehmensgröße gestaffelten Übergangsfristen von bis zu fünf Jahren. 

  • Ebenfalls unter das EU-Gesetz fallen Unternehmen mit Sitz außerhalb der EU, wenn sie mehr als 150 Millionen Euro umsetzen und mindestens 40 Millionen Euro davon in der EU. 

  • Kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) sind zwar nicht direkt von dem Gesetz betroffen, aber indirekt z. B. als Zulieferer von größeren, betroffenen Unternehmen. 

Folgende Rechtsformen sollen von dieser Regelung erfasst werden: Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und des Weiteren regulierte Finanzunternehmen sowie Versicherungsunternehmen.  
 
Nachbesserungsbedarf besteht aus unserer Sicht aber, auch wenn das Gesetz umfassend zustande kommt, immer noch. Denn die Sorgfaltspflichten der Finanzdienstleister beschränken sich auf Geschäfte mit direkten Großkunden. Kreditvergaben an Kleine und Mittlere Unternehmen, die Umwelt- und Menschenrechte missachten, bleiben unberücksichtigt.  

Welche Verstöße fallen unter das EU-Lieferkettengesetz? 

Europäische Firmen sind dann in der Verantwortung, sicherzustellen, dass sie selbst, die Nutzer ihrer Produkte sowie ihre Zulieferer auf den Schutz der Menschenrechte, der Biodiversität und der Umwelt achten wie z. B. durch die Achtung von:  

  • grundsätzlichen Arbeitnehmerrechten, wie auch in den Kernarbeitsnormen der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) festgehalten, wie z. B. Vereinigungsfreiheit, Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit, Gleichheit des Entgelts, Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf, etc. 

  • Menschenrechten, wie z. B. Freiheit und Sicherheit der Person, körperliche Unversehrtheit, Rechtsfähigkeit und Gleichheit vor dem Gesetz, Privatsphäre, räumliche Freiheit, Essen und Grundversorgung sowie Erholung und Freizeit. 

  • Schutz der biologischen Vielfalt und von Ökosystemen 

  • Schutz von Gewässern und der Atemluft 

  • Bekämpfung des Klimawandels 

  • Umweltverstöße wie Treibhausgasemissionen, Umweltverschmutzung oder die Zerstörung der biologischen Vielfalt und die Zerstörung von Ökosystemen  
     

Hintergrundwissen Rana Plaza 

Am 24. April 2013 stürzte das Rana Plaza in Bangladesh ein. Dabei handelte es sich um ein mehrstöckiges Gebäude, in dem Textilfabriken und Geschäfte untergebracht waren. Das Gebäude stand in Sabhar, einer Stadt rund 25 km nordwestlich der Hauptstadt von Bangladesch, Dhakar. Bereits einen Tag vor der Katastrophe, am 23. April 2013, wurden Risse in dem Gebäude festgestellt. Der Zutritt zu dem Gebäude wurde deshalb durch die örtliche Polizei verboten. Dennoch wurden die Textilarbeiterinnen von ihren Firmen gezwungen, weiter in dem als baulich unsicher eingestuften Fabrikgebäude zu arbeiten. Am 24. April kam es dann zum Einsturz des Gebäudes. 1135 Menschen wurden durch den Einsturz getötet und weitere 2438 verletzt. Bis heute gilt dieser Einsturz als der größte Fabrikunfall in Bangladesch. Infolge dieser Katastrophe kam es zu internationalem Druck auf die politischen Verantwortlichen. Die Textilfirmen in Bangladesch produzieren auch für den europäischen Markt billige Textilien. Daher tragen auch europäische Textilketten eine Mitverantwortung an den Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern, da der Kostendruck der europäischen Abnehmer in der Regel zulasten der Arbeitsbedingungen der ArbeiterInnen in den Produktionsländern geht. Diese Richtlinie soll Katastrophen wie die von Rana Plaza zukünftig verhindern.