Triodos Redaktion: Erst einmal ist es interessant, dass statt der üblichen deutschen Übersetzung "Kreislaufwirtschaft" der englische Begriff "Circular Economy" verwendet wird. Warum ist das so?

Rebecca Tauer: Die Entscheidung, unser Modell "Circular Economy" statt "Kreislaufwirtschaft" zu nennen, hat nicht rein sprachliche Gründe. Der englische Begriff suggeriert zwar das gleiche Konzept, aber grenzt sich von dem traditionellen deutschen Verständnis der "Kreislaufwirtschaft" ab, welches abfallwirtschaftlich geprägt ist. Es geht auf die Fortschritte der 90er-Jahre in der Getrenntsammlung und beim Recycling zurück. Die Circular Economy dagegen verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der Überlegungen von der Rohstoffbeschaffung über das Produktdesign, die sorgfältige, intensive und nachhaltige Nutzung bis hin zur stofflichen Verwertung am Ende des Produktlebenszyklus umfasst. Der WWF verwendet den Begriff "Circular Economy" (CE), weil genau diese ganzheitliche Veränderung angestrebt wird.

Welche Wirtschaftssektoren wurden in das Modell einbezogen?

Im Rahmen der Modellierung wurden die ökologischen und ökonomischen Auswirkungen von CE-Maßnahmen für acht Sektoren berechnet: Hoch- und Tiefbau, Fahrzeuge und Batterien, Informations- und Kommunikationstechnologien, Haushaltsgeräte, Lebensmittel und Ernährung, Textilien, Verpackungen, Möbel und Beleuchtung. Diese Sektoren wurden ausgewählt, weil ihre Produkte mit erheblichen Umweltauswirkungen verbunden sind und ein großes Potenzial für die erforderlichen Transformation aufweisen.

Kannst du einige Beispiele für die Maßnahmen nennen, die für diese Sektoren vorgeschlagen wurden?

Zuerst einmal ist wichtig zu wissen, dass wir durch unsere ganzheitliche Betrachtung der Circular Economy einen großen Wert daraufgelegt haben, Maßnahmen aus dem gesamten Spektrum der zirkulären Strategien zu betrachten – also z.B. Vermeidung, Sharing, Langlebigkeit, Reparatur. Wir zeigen nicht nur Recyclingpotenziale auf.

Nehmen wir den Hochbausektor. Eine der vorgeschlagenen Maßnahmen ist die Optimierung der Wohnfläche pro Kopf, z.B. durch die Reduktion der Wohnfläche pro Einwohner oder durch mehr Menschen, die im gleichen Büroraum arbeiten. Dadurch können mehr Menschen in bestehenden Gebäuden untergebracht werden, was den Bedarf an Neubauten und den damit verbundenen Ressourcenverbrauch reduziert. Diese Maßnahme steht im Einklang mit dem Prinzip der Circular Economy, den Nutzen bestehender Ressourcen zu maximieren und ein Leben innerhalb planetarer Grenzen zu gestalten.

Die Ergebnisse im Textilsektor zeigen, wie wichtig die absolute Vermeidung von Ressourceneinsatz ist. Hier gab es die höchsten Umweltentlastungspotenziale zum einen durch eine längere Nutzungsdauer bereits vorhandener Textilien, wobei ca. 10 Prozent der Menge an Textilien gegenüber heute reduziert wird. Zum anderen könnte durch bessere Angebote an kommerziellen Dienstleitungen im Bereich Reparatur, Wiederverwendung oder Sharing eine weitere Reduktion von 10 Prozent der Menge der Textilien erreicht werden. Diese zwei Maßnahmen zeigten ein weit höheres Einsparpotenzial an Ressourcen und Treibhausgasen als z.B. Textil-Recycling von Baumwolle, ein Bereich an dem intensiv von vielen Akteuren gearbeitet wird.

Die Verpackungsindustrie ist ein weiterer sehr wichtiger Sektor. Hier zeigen wir, Fortschritte im Verpackungsbereich sind sowohl in der Technologie als auch im Verhalten notwendig. Erst in der Kombination entstehen Synergien, die mehr bewirken als die Summe ihrer Teile. Einige der Maßnahmen, die für diesen Sektor modelliert wurden, sind zum Beispiel die Reduktion von Verpackungen durch Mehrweg und Weglassen von Verpackungen sowie die Förderung hochwertigen Recyclings.

Welche Auswirkungen werden die Maßnahmen für diese Sektoren haben?

Wenn sich das Verbraucherverhalten und der technologische Fortschritt wie bisher entwickeln, ein „Weiter-so“ Szenario, wird der Hochbausektor im Jahr 2045 voraussichtlich 326 Millionen Tonnen CO2 (Mt CO2) emittieren und 190 Millionen Tonnen Rohstoffe verbrauchen. Die MDCE-Maßnahmen können die Treibhausgase um 18 Prozent bzw. 59,3 Millionen Tonnen CO2 und den Rohstoffverbrauch um 26 Prozent bzw. 49,2 Millionen Tonnen reduzieren.

Im Textilsektor können alle modellierten Maßnahmen im Summe Treibhausgase um 35 Prozent reduzieren bzw. 12 Millionen Tonnen CO2 und 37 Prozent Rohstoffe einsparen bzw. 15 Millionen Tonnen.

Im Verpackungssektor würden die MDCE-Maßnahmen im Vergleich zum "Weiter-so"-Szenario zu einer Reduktion der Treibhausgase um 35 Prozent bzw. 2,7 Millionen Tonnen CO2 und des Rohstoffverbrauchs um 58 Prozent bzw. 8,5 Millionen Tonnen beitragen.

Dies sind nur die Auswirkungen für drei der acht Sektoren, die im Modell enthalten sind. Für alle wurden Maßnahmen betrachtet, die eine signifikante positive Wirkung haben.

Das sind sehr vielversprechende Ergebnisse. Was sind die wichtigsten Schlussfolgerungen aus diesen Ergebnissen, die wir im Auge behalten sollten?

Insgesamt zeigt das Modell, dass der Übergang zu einer echten Circular Economy mit substanziell positiven ökologischen Auswirkungen verbunden ist – CE ist zentral für den Klima – und Ressourcenschutz und damit auch für den Schutz der Biodiversität. Außerdem sichert CE die Versorgung von Rohstoffen und reduziert unsere Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen aus aller Welt.

Wichtig ist, dass neue Technologien zwar für den Wandel zu einer Circular Economy wichtig sind, die größte positive Wirkung aber durch Verhaltensänderungen erreicht wird. So hat das Prinzip der Reduktion von Dingen, die wir produzieren müssen, z.B. durch Reduktion von Lebensmittelabfällen, Reduktion von Wohn- und Büroflächen, eigenen PKWs, unnötigen Verpackungen oder Produkten wie Dekolampen insgesamt einen sehr hohen Effekt. Genauso wie die Langlebigkeit von Produkten durch intelligentes Design, Reparatur und Wiederverwendung.

Um relevante Veränderung in Konsum und Nutzung herbeizuführen sind vor allem politische Rahmenbedingungen entscheidend. Eine teurere Erstanschaffung oder eine Reparatur muss sich lohnen, Infrastrukturen müssen in der Breite verfügbar und finanziert werden und zirkuläres Design zum Standard werden – hier kann die Politik einiges tun.

Welche Rolle spielt die Politik bei der Umsetzung der Circular Economy genau?

Die Aufgabe der Politik ist es, den Strukturwandel hin zu einer Circular Economy zu gestalten. Externe Kosten der linearen Wirtschaftsweise müssen internalisiert werden und zirkuläre Wirtschaftsweise gefordert und gefördert werden. Im Kern braucht es einen verbindlichen und verlässlichen Rahmen für Unternehmen und Konsument:innen, der Akzeptanz schafft und nicht zuletzt aktives Mitwirken erst möglich macht.

Schon heute existiert auf nationaler Ebene ein umfassender rechtlicher und politischer Rahmen, der auf den Schutz von Klima und Ressourcen abzielt. Dazu gehören das Klimaschutzgesetz und die daraus abgeleiteten Instrumente sowie das Kreislaufwirtschaftsgesetz mit seinen Verordnungen. Dieser regulative Rahmen erweist sich jedoch als ungenügend. Er reicht nicht aus, um die Hemmnisse aufzulösen, die einer Umsetzung der notwendigen CE-Maßnahmen entgegenstehen. Wir müssen deshalb sowohl neue Instrumente entwickeln als auch die bereits bestehenden ausbauen. Gleichzeitig müssen Lücken im Rahmen verbindlicher Regularien geschlossen und insbesondere auch ökonomische Anreize für Ressourcenschonung und zirkuläres Wirtschaften entwickelt werden.

Was sind deine abschließenden Bemerkungen zu dem Modell?

Das MDCE zeigt in einem detailreichen Bild, wie die Circular Economy in Deutschland gelingen kann. Es zeigt, dass dieser Weg begehbar ist, dass er uns voranbringt und wegführt von verantwortungsloser Ausbeutung dessen, was uns nicht unbegrenzt zur Verfügung steht. Das Zeitfenster ist aber klein. Mit unserem linearen Wirtschaftssystem haben wir unserem Planeten bereits erhebliche Wunden zugefügt. Machen wir uns endlich daran, das Prinzip „Produzieren-Nutzen-Wegwerfen“ ein für alle Mal zu überwinden. Unser zweifelsohne wichtigster Adressat ist die Bundesregierung selbst, der wir Impulse und konkrete Empfehlungen geben wollen, wie sie die politischen Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige Wirtschaftsstruktur gestalten kann.