Sechs Fragen an Jörn Birkmann
Herr Birkmann, aktuell ist der Süden Spaniens von einer Flutkatastrophe betroffen. Der spanische Innenminister spricht von der größten Tragödie in diesem Jahrhundert. Ähnliche Worte sind auch 2021 bei der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 gefallen. Immer wieder schreiben Medien von der Jahrhundertflut. Es hört sich medial an, als ob es in diesem Jahrhundert nicht noch mal so schlimm wird. Wird der Begriff falsch benutzt?
Der Begriff Jahrhundertflut zeigt auf der anderen Seite die massive Stärke des Ereignisses, aber andererseits wird der Eindruck erweckt, dass das Ereignis sehr selten ist – einmal im Jahrhundert. Dies kann problematisch sein, da sich die Ereignisse im Kontext des Klimawandels verändern. Vielfach nutzt man im Bereich der Hochwasserereignisse statistische Berechnungen. Berechnet werden beispielsweise auf Basis historischer Daten, wie oft Ereignisse rechnerisch einmal in 50 und 100 Jahren (HQ 50/ HQ 100) auftreten. Diese Bemessungshochwasser – HQ-50 und insbesondere HQ-100 sind auch für die Planung wichtig Grundlagen. Trotzdem ändern sich die Häufigkeiten, d. h. wir haben es heute mit teilweise anderen Phänomenen zu tun – mit beispielsweise veränderten Wiederkehrerscheinungen bzw. Häufigkeiten des Auftretens solcher Ereignisse. Wir dürfen nicht mehr nur in den Rückspiegel (Vergangenheit) schauen und Wiederkehrwahrscheinlichkeit aus Daten der Vergangenheit betrachten.
Neben dem Ahrtalhochwasser 2021 hatten wir bereits zahlreiche weitere massive Hochwasser erlebt, wie beispielsweise aktuell in Spanien, zuvor in Osteuropa oder auch die Sommer- und Weihnachtshochwasser in Deutschland.
Sie haben den Wiederaufbauprozess im Ahrtal wissenschaftlich begleitet. Kann man mit Wiederaufbau nachhaltig und differenzierten Hochwasserschutz leisten?
Normalerweise sind zahlreiche Wiederaufbauprozesse von der Idee der Schadenskompensation geprägt. Allerdings sollte der Wiederaufbau nach Flutkatastrophen, egal ob in Deutschland oder Spanien – nicht wie eine Schadenskompensation nach einem Autounfall behandelt werden. Bei dem Autounfall wird vielfach der Wagen wiederhergestellt, sodass der Zustand vor dem Unfall erreicht wird.
Aber bei Wiederaufbauprozessen nach Flutkatastrophen wie im Ahrtal oder aktuell in der Region Valencia reicht es eben nicht, wenn man an Flüssen oder engen Tälern bei Häusern oder Infrastrukturen nur die Schadenskompensation betreibt. Uns war wichtig, nachhaltigen und resilienten Wiederaufbau zu begleiten und mit wissenschaftlicher Forschung zu unterstützen.
Haben Sie da ein Beispiel?
Bei kritischen und sensiblen Infrastrukturen müssen wir mehr als nur nach dem gesetzlich vorgeschriebenem Wiederaufbau investieren. So wurde kürzlich, drei Jahre nach dem Ahr-Hochwasser, beschlossen, dass das teilzerstörte Gebäude der Levana-Schule in Bachem (Kreis Ahrweiler) nicht saniert, sondern an einen hochwassersicheren Standort umgesiedelt wird. Denn die Schüler und Schülerinnen können bei einer Flutkatastrophe aufgrund ihrer körperlichen Einschränkung das Gebäude nicht eigenständig verlassen. Zudem hat das Schulgebäude nur ein Erdgeschoss und die Schule liegt direkt an der Ahr mit einem Ausgang Richtung Ahr. D. h. im Falle eines Hochwassers ist es dort sehr schwierig sich in Sicherheit zu bringen, da beispielsweise keine vertikale Evakuierungsmöglichkeit besteht – in höhere Stockwerke. Wir haben mit einer wissenschaftlichen Studie die Notwendigkeit eines resilienten Wiederaufbaus untermauert, sodass die Entscheidung nun zur räumlichen Verlagerung des Standorts getroffen wurde und auch die vorgesehenen Wiederaufbaukosten für den Neubau an anderer Stelle auch vom Land Rheinland-Pfalz getragen werden. Dies umfasst deutliche Mehrkosten, aber eben auch eine deutliche Verbesserung als der Wiederaufbau am alten Standort direkt am Fluss.
Die Menschen im Ahrtal haben viel Leid erlebt. Sie waren zur Hochphase des Wiederaufbaus mit dem Projekt KAHR vor Ort. Wie haben Entscheidungsträger auf Sie als Wissenschaftler reagiert?
Zu Beginn wurden wir sicher beäugt, was wir da inmitten der Katastrophe machen und ob jetzt die richtige Zeit für wissenschaftliche Begleitung ist. Aber man hat schnell gemerkt, dass die Wissenschaft eine hilfreiche neutrale Position einnimmt und mit eigenen Daten und Einschätzungen wichtige Empfehlungen und Anregungen für den Wiederaufbau und einen resilienteren Wiederaufbau leisten kann. Wir sind anders mit Konflikten vor Ort umgegangen und wurden als eigener, neutraler Akteur akzeptiert. Denn wir waren an der Forschung von Resilenzstrategien im Sinne eines Nachhaltigkeitsprozesses interessiert. Und so wurde unsere Expertise im zweiten und dritten Jahr auch eingefordert, sodass wir Entscheidungen beratend begleiten konnten – so wie bei der genannten Levana-Schule oder im Bereich des Wiederaufbaus von Brücken mit mehr Hochwassersicherheit und Platz für den Fluss.
Wir reden in den letzten Jahren immer von Klimaschutz. Bei Ihrer Arbeit geht es ja auch stark um Klimaanpassung. Wie gehen Klimaschutz und Klimaanpassung zusammen?
Klimaschutz braucht man auf jeden Fall. Aber wenn wir bei einem Rückhaltebecken im Ahrtal eine Betonwand einsetzen, dann ist der Klimaschutz nicht das erste Thema. Man wird sich aber nicht an beliebig hohen Klimawandel anpassen können, d. h. wir brauchen Klimaschutz und Klimaanpassung. Die bereits deutlich spürbaren Auswirkungen des Klimawandels machen es aber eben auch notwendig – jetzt bereits in Klimaanpassung zu investieren. Es gibt auch klare Synergien zwischen beiden Handlungsfeldern. Es lassen sich beispielsweise Siedlungen entlang von Bächen so planen, dass dort Grünparks integriert werden und ein grüner Puffer zwischen Bächen bzw. Flüssen und Siedlungen gesichert wird. Diese können dann im Katastrophenfall auch als Ableitbereiche für Wasser genutzt und überflutet werden.
Beim Klimaschutz haben wir Ziele definiert - 1,5 Grad. Gibt es solche Ziele schon in der Klimaanpassung?
Im Bereich der Klimaanpassung haben wir noch keine richtigen, differenzierten Ziele. Wir starten gerade mit dieser Diskussion in Wissenschaft und Politik. Wir müssen dabei aber weggehen von der alleinigen Betrachtung von Hitze- und Hochwasserereignissen. Fragen, die wir uns in diesem Zusammenhang auch stellen müssen sind: Was und wer ist denn besonders zu schützen? Wer ist besonders verwundbar im Ereignisfall? Wir benötigen differenzierte Schutzstandards und Klimaanpassungskonzepte. Diese haben wir (noch) nicht. Im Klimaanpassungsgesetz, das im Sommer dieses Jahres in Kraft getreten ist, wird deren Notwendigkeit bekräftigt. Hier fehlt uns noch eine wissenschaftliche Diskussion über die Möglichkeiten und Grenzen für bestimmte Bereiche, Ziele und Standards zu definieren bzw. wissenschaftliche zu untermauern. Auch im Bereich des baulichen Schutzes von Gebäuden müssen wir differenzieren, wie bedeutsam bestimmte Gebäude und ihre Funktionen für die jeweilige Gemeinde oder Region sind. Krankenhäuser oder wichtige Gebäude für die Energie- und Wasserversorgung brauchen sicherlich einen höheren Schutzstandard als Gebäude, die als allgemeine Lagerflächen genutzt werden.
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