Es ist schon merkwürdig, auf welche Weise Nachhaltigkeit zum politischen Thema geworden ist. Wir haben es bei den Europawahlen gesehen, wo der Green Deal zu einem wichtigen Schlachtfeld wurde. Wir sehen es in den USA, wo Trump Big Oil bittet, seinen Wahlkampf mit einer Milliarde Dollar zu unterstützen, wenn er im Gegenzug Gesetze zu ihren Gunsten ändert. Dis ist Vetternwirtschaft in Reinkultur.

Wir sehen es überall in den reichen Ländern: Nachhaltigkeit gilt als links. Meiner Meinung nach ist sie nicht links, sondern progressiv und läuft den Interessen des Großkapitals zuwider: der fossile Brennstoffindustrie, der industriellen Agrarwirtschaft und umweltverschmutzenden Unternehmen wie der Modeindustrie. Aber Nachhaltigkeit liegt im Interesse der Wähler:innen. Es geht nicht nur um eine ferne Zukunft.

Quelle: People's Climate Vote 2024

Nachhaltigkeit entspricht dem, was die meisten Menschen denken, was umgesetzt werden sollte. Der diese Woche veröffentlichte UN-Bericht (People's Climate Vote) enthält interessante Daten. Vier von fünf Menschen weltweit (80 Prozent) fordern, dass sich ihr Land stärker für den Klimaschutz einsetzt. Die Menschen machen sich zunehmend Sorgen über den Klimawandel, vor allem in Ländern, in denen extreme Wetterereignisse häufiger auftreten als üblich. Mehr noch: In Ländern, die stark von der Produktion fossiler Brennstoffe abhängig sind, wünscht sich eine Mehrheit auch substanziellere Klimaschutzverpflichtungen (siehe Tabelle oben). Warum also ist "Nachhaltigkeit" ein politisches Streitthema?

Schließlich ist klar, dass sich das Klima erwärmt, dass die Natur zunehmend unter Druck gerät und dass eine Zukunft, in der dieser Planet noch einigermaßen lebenswert ist, eine Politik erfordert, die die Welt nachhaltiger macht.

Umstritten ist nicht in der Sache an sich (außer bei den erwähnten Eigeninteressen), umstritten sind vielmehr die zu ergreifenden Maßnahmen. Die Nachhaltigkeitspolitik hat sich in erster Linie auf das Endziel einer Transformation konzentriert und hat hervorgehoben, was nicht mehr getan werden kann. Unmittelbare Vorteile wurden weniger aufgezeigt. Eine Kombination aus Panikmache und inkonsistenten Richtlinien bietet keine attraktive Handlungsperspektive. Ökonomen argumentieren, dass die Preisgestaltung die beste Option sei: Wenn die Menschen mit steigenden Energierechnungen oder Kraftstoffkosten konfrontiert würden, würden sie abgeschreckt. Fortschritte in Richtung Nachhaltigkeit, von erneuerbaren Energien bis zur Kreislaufwirtschaft, wurden nur parallel zur derzeitigen Wirtschaft aufgebaut, ohne wirklich zu transformieren, um Widerstand zu vermeiden und Diskussionen über die Abschaffung alter Praktiken zu umgehen.

Vorteile für die Gesundheit

Wie sollten wir Vorgehen in diesen Zeiten der Polarisierung? Wie können wir eine Politik umsetzen, die von rechts bis links, von Populisten bis Aktivisten unterstützt wird? Hier sind einige einfache Prinzipien, die helfen können.

Erstens: Konzentration auf den kurz- und langfristigen Nutzen. Es gibt viele Beispiele. Der Klimawandel erhöht unsere gesundheitliche Belastung durch Hitzestress, Allergien, Infektionskrankheiten und Umweltverschmutzung. Wenn wir diese Probleme angehen, wird sich die öffentliche Gesundheit verbessern. Die Fleischproduktion trägt erheblich zu Treibhausgasemissionen, Entwaldung und Stickstoffbelastung bei. Der übermäßige Verzehr von verarbeitetem und rotem Fleisch birgt Gesundheitsrisiken wie Dickdarmkrebs, Diabetes und Schlaganfall. Eine Reduzierung des Fleischkonsums wirkt sich unmittelbar auf die Gesundheit aus. Die Klimapolitik von heute wird die Kosten von morgen verringern, auch wenn dies für manche noch in weiter Ferne zu liegen scheint.

Um dies greifbarer zu machen, werfen wir einen Blick auf die Daten und Ergebnisse des Lancet Countdown-Berichts zu Gesundheit und Klimawandel. Der Bericht unterstreicht die gravierenden Auswirkungen von Ernährungsrisiken auf die globale Gesundheit und schätzt, dass 12,2 Millionen Todesfälle im Jahr 2020 auf ungesunde Ernährungsentscheidungen zurückzuführen sind. Es gab 282.000 Todesfälle mehr als im Jahr 2019. Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung einer ausgewogenen und emissionsarmen Ernährung, um die Gesundheit zu verbessern und die Sterblichkeit zu senken.

Von der Gesamtzahl der Todesfälle waren 7,8 Millionen auf den unzureichenden Verzehr von Grundnahrungsmitteln wie Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte, Nüsse und Samen zurückzuführen. Andererseits spielte der übermäßige Verzehr von Milchprodukten sowie von rotem und verarbeitetem Fleisch eine wichtige Rolle bei den Gesundheits- und Umweltproblemen. Diese Ernährungsgewohnheiten trugen zu 57% der landwirtschaftlichen Emissionen bei und waren für 1,9 Millionen ernährungsbedingte Todesfälle (16%) verantwortlich.

Der Bericht zeigt auch einen starken Kontrast zwischen Ländern mit unterschiedlichem menschlichem Entwicklungsstand. In Ländern mit einem sehr hohen Human Development Index (HDI) war die Zahl der ernährungsbedingten Todesfälle 2,4-mal höher als in Ländern mit einem niedrigen HDI. Darüber hinaus war die Sterblichkeitsrate im Zusammenhang mit dem übermäßigen Verzehr von Milchprodukten sowie rotem und verarbeitetem Fleisch in diesen Ländern mit sehr hohem HDI 6,7-mal höher als die durchschnittliche Sterblichkeitsrate in den anderen HDI-Gruppen.

Diese Ergebnisse unterstreichen die dringende Notwendigkeit einer Ernährungswende hin zu ausgewogeneren und ökologisch nachhaltigeren Ernährungsgewohnheiten, um die öffentliche Gesundheit zu verbessern und die Umweltbelastung zu verringern. Eine solche Ernährungsweise verspricht erhebliche gesundheitliche Vorteile und spielt eine entscheidende Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels.

Man stelle sich eine Welt vor, in der durch eine Änderung unserer Essgewohnheiten jedes Jahr Millionen Menschenleben gerettet werden könnten. Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein, aber aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Umstellung auf eine gesündere, kohlenstoffarme Ernährung jedes Jahr bis zu 12,2 Millionen Todesfälle verhindern könnte. Wenn wir einfach mehr Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte, Nüsse und Samen essen und weniger rotes und verarbeitetes Fleisch, können wir unsere Gesundheit erheblich verbessern und unseren ökologischen Fußabdruck verringern.

Aber die Vorteile enden nicht auf dem Teller. Durch den Umstieg auf leichter zugängliche und nachhaltige Fortbewegungsmittel - wie zu Fuß gehen, Radfahren, öffentliche Verkehrsmittel und Elektrofahrzeuge - könnten jährlich 460.000 Todesfälle vermieden werden. Diese Veränderungen würden die schädlichen PM2,5-Emissionen (Feinstaub) des Verkehrs reduzieren. Dabei handelt es sich um winzige Partikel, die tief in die Lunge und sogar in den Blutkreislauf eindringen und schwere Gesundheitsschäden verursachen können. Außerdem fördern aktive Fortbewegungsarten wie Gehen und Radfahren die körperliche Aktivität und halten uns fit und gesund.

Und es gibt noch mehr gute Nachrichten: Diese positiven Veränderungen würden unsere Gesundheitssysteme entlasten. Eine gesündere Ernährung und eine umweltfreundlichere Fortbewegung würden die Nachfrage nach medizinischer Versorgung und damit wiederum die mit der Gesundheitsversorgung ebenfalls verbundenen Emissionen verringern. So entsteht ein positiver Kreislauf, bei dem die Verbesserung unserer Gesundheit auch unserem Planeten zugutekommt. 

Kosteneinsparungen

Zweitens sind die Kosteneinsparungen im Haushalt hervorzuheben, die durch ein Mehr an Nachhaltigkeit entstehen, insbesondere in der Kreislaufwirtschaft. Eine Waschmaschine, die doppelt so lange hält, weil sie leichter zu reparieren ist, kostet viel weniger. Die gemeinschaftliche Nutzung mit den Nachbarn macht es überflüssig, dass jeder eine Bohrmaschine besitzen muss. Ein gemeinsam genutztes Auto ist nachweislich billiger als ein eigenes. Das gilt nicht für alles, aber für viele Nachhaltigkeitsmaßnahmen. Der beste Beitrag zur finanziellen Sicherheit ist Geld, das man nicht ausgeben muss. Man könnte natürlich einwenden, dass Produkte, die nachhaltiger sind und einen Preis für "externe Effekte" einkalkulieren (Kompensation für Umweltverschmutzung, Abfall etc.), teurer seien. Das ist richtig. Aber nicht über die gesamte Lebensdauer hinweg. Und nicht im Vergleich zu nicht nachhaltigen Produkten. Die Kosten für die Gesellschaft kommen so oder so auf uns zu. Also ist Vorbeugen besser und langfristig auch billiger.

Das widerspricht natürlich den Unternehmen und NGOs, die die Kreislaufwirtschaft als "Billionen-Dollar-Chance" propagieren. So sollte es natürlich nicht sein. Denn dann würden all diese Gewinne und Kosteneinsparungen nicht zum Sparen verwendet, sondern für andere Dinge ausgegeben. Das wären dann ungewollte Rebound-Effekte die das Mehr an Nachhaltigkeit wieder zunichtemachen könnten.

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Verhaltensänderung

Drittens sollte man Verhaltensänderungen fördern, indem man Anreize schafft, anstatt Menschen zu bestrafen. Anstatt sich in erster Linie auf die "wahren Preise" zu konzentrieren, die alles teurer machen, sollten wir die Menschen für nachhaltige Alternativen begeistern. Dies kann auf unterschiedliche Weise geschehen. Manchmal durch die Förderung neuer Technologien - Elektroautos, nachhaltige Telefone - die wahrscheinlich zuerst von wohlhabenderen Haushalten angenommen werden. In anderen Fällen kann dies durch die Begrünung von Stadtvierteln oder die nachhaltigere Gestaltung von Mietwohnungen erreicht werden. Es geht nicht darum, jeden Einzelnen  zu überzeugen, aber, eine ausreichende Anzahl an Menschen mit ins Boot zu holen. Eine kritische Masse von 25 bis 50 Prozent der Bevölkerung kann einen sozialen Tipping Point erzeugen, einen normativen Wandel, bei dem nachhaltiges Verhalten zur neuen Norm wird.

Social Tipping Interventions (STIs) bieten eine vielversprechende Alternative. STIs zielen darauf ab, signifikante Verhaltensänderungen herbeizuführen. Sie richten sich an bestimmte Gruppen und heben das Verhalten über eine Schwelle, ab der es selbsttragend wird. Der Begriff STIs ist inspiriert von den Kipp-Punkten, die sich auf Schwellenwerte in Ökosystemen beziehen, deren Überschreitung zu signifikanten und oft irreversiblen Umweltveränderungen führt. Im Gegensatz dazu zielen soziale Kipp-Punkte darauf ab, die soziale Dynamik zu nutzen, indem sie durch gezielte Impulse den Status quo destabilisieren und neue, nachhaltige Verhaltensweisen zu fördern.

Generationswechsel

Viertens sollte in Erweiterung dieses Ansatzes eine Generationenpolitik betrieben werden. Wenn man junge Menschen an eine "andere" Normalität gewöhnt, werden sie später nicht unter Verlustängsten leiden. Statt also auf ein Fatbike umzusteigen, sollte man das Fahrradfahren an sich fördern. Man sollte Fahrstunden in Elektroautos anbieten: Man sollte eine gesunde Ernährung und Bewegung fördern, indem man sie erschwinglicher macht.

Eigene Interessen

Heißt das, dass man keine unangenehmen Maßnahmen ergreifen sollte? Nein, natürlich nicht. Die Abschaffung von Subventionen für fossile Brennstoffe ist eine Herausforderung, aber unerlässlich, um den Übergang voranzutreiben. Es ist von entscheidender Bedeutung, sich mit festgefahrenen Interessen auseinanderzusetzten, die die Schattenseiten jedes einzelnen Schritt in Richtung Nachhaltigkeitswende aufbauschen. Je länger wir warten, desto teurer wird es.

Denn wenn die Mehrheit der Weltbevölkerung mehr Klimaschutz will und dies auch in ihrem unmittelbaren Interesse ist, dann sollte sie sich gegen Desinformation, Vetternwirtschaft, Korruption und Bestechung wappnen.

Ich bin davon überzeugt, dass eine vernünftige, nachhaltige Politik tatsächlich möglich ist. Sie hat viele Vorteile, nicht nur auf lange Sich, sondern bereits in der Gegenwart unmittelbar und auch für diejenigen die extreme Parteien gewählt haben, die vom Nachhaltigkeitsgedanken abweichen und einer Transformation derzeit entgegenwirken.