Frau Dr. Lemaitre, bei “grünem Bauen” denken viele erst einmal an die Solaranlage auf dem Dach und Holz statt Beton. Ganz so simpel ist es aber nicht. Können Sie uns Ihr Konzept erklären?

Unser Konzept verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz. Das heißt, wir schauen nicht nur auf die ökologischen und soziokulturellen Aspekte, sondern haben auch ein Augenmerk auf das Ökonomische. Es geht nicht um schnell und günstig, sondern wie wird das Geld sinnvoll über die gesamte Nutzungszeit investieren. Wir schauen die Prozessqualität an. Gibt es ein beispielsweise ein Benutzerhandbuch, wird ein Monitoring der Energieverbräuche gemessen und auch optimiert.

Was den Standort angeht, heißt es bei uns nicht nur Lage, Lage, Lage, sondern was kann ich mit dem Bauobjekt erreichen, um den gegebenen Standort auch besser zu gestalten.

Haben Sie Beispiele dafür?

Wir schauen, ob Risiken von Extremwettern beachtet werden und gegebenenfalls auch Erdgeschosszonen für Überflutungen miteingeplant werden.Wird der CO2-Fußabdruck reduziert, welchen Mehrwert generiert das Bauobjekt für die Menschen. Wie ist beispielsweise die Aufenthaltsqualität. Wir müssen in Zeiten des Klimawandels berücksichtigen, dass Menschen ihre Zeit draußen verbringen. Dazu sind gut gestaltete Außenräume wichtig und eine sinnvolle Biodiversität miteinzubeziehen. Es geht auch darum, dass das Auto nicht als primäre Verkehrsquelle genutzt wird. Sind also unterschiedliche Mobilitätsangebote mitgedacht und ist die Anbindung an Infrastrukturen wie Schule oder Einkaufsmöglichkeiten gegeben. Identitätsbildung ist auch ein wichtiges Thema. Das kann durch Nachbarschaftsgärten oder Ehrenamtsräume gefördert werden. Die Menschen sollen sich wohlfühlen. Diese Kriterien bewerten wir unter vielen anderen mit unserer Zertifizierung. 

Ihre Zertifizierungen sehen vier Stufen vor. Bronze, Silber, Gold und Platin. Wie hoch liegt die Messlatte, um diesen Standard verliehen zu bekommen?

100 % gibt es in keiner Kategorie. Das System ist so aufgebaut, dass man mit unterschiedlichen Lösungen auch zu einem guten Ergebnis kommen kann, auch wenn sich die Themen widersprechen. Denn das Gesamtergebnis muss stimmen. Platin vergeben wir, wenn 80% der Kriterien in Summe erfüllt sind, Gold bei 65 %.

Neben Neubauten wird in Deutschland auch saniert. Wie werden Gebäudesanierungen von Ihnen zertifiziert?

Die Zertifizierung von sanierten Gebäuden nimmt zu. Die Anforderungen unterscheiden sich natürlich von Neubauten, weil man hier bestimmte Abstriche machen muss und der Startpunkt ein anderer ist. So belohnt das Sanierungssystem beispielsweise, je mehr Bausubstanz erhalten bleibt. Das sind Maßnahmen zur Stärkung der Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) und verdient Bonuspunkte. Wir wollen mit diesem Ansatz unseres Zertifizierungssystemes ermutigen, Wiederverwertung anzustreben. Aus Klimaperspektive ist jedes Bauteil, das nicht hergestellt werden muss, ein wertvoller Beitrag für die Reduzierung der CO2-Emissionen. Zum Vergleich: Für drei Neubauten kann man ca. zehn Gebäude sanieren. Hier erreicht man daher für das CO2-Budget wesentlich mehr. 

Bei einer Zertifizierung begleitet ein DGNB-Auditor den gesamten Prozess von Baubeginn bis Fertigstellung. Welche Aufgaben übernimmt der Auditor?

Ein Auditor ist Navigator des ganzen Prozesses, idealerweise von Anfang an. Er ist Ansprechpartner für das Planungsteam, begleitet und dokumentiert den Prozess und hat die Qualitätssicherung im Auge. Beispielsweise bei der Ausschreibung der richtigen Baustoffe kann er beraten. Der Auditor reicht seine Dokumentation bei der DGNB ein, wir prüfen, haben auch durchaus Rückfragen und es besteht dann die Möglichkeit zur Anpassung, sodass nach einer weiteren Prüfschleife final über die Zertifizierung entschieden wird. Uns ist es wichtig, dass nachgebessert werden kann. Wir wollen unterstützen und nicht nur ein Vorhabe bewerten. 

Die DGNB hat kürzlich die Kriterien für die nachhaltige Kreditvergabe in der Immobilienfinanzierung der Triodos Bank (Triodos Sustainable Lending Criteria and Entry Requirements) geprüft und nach dem DGNB-System auch anerkannt. Was leistet die Triodos Bank für das nachhaltige Bauen?

Die Anforderungen, die im internen Rating der Triodos Bank formuliert sind, sind ähnlich den Anforderungen der DNGB. Da wir gern einheitliche Standards auf allen Ebenen herstellen wollen, hat es uns sehr gefreut, dass die Triodos Bank unsere Kriterien zum Vorbild genommen hat. Gemeinsame Standards sind eine große Erleichterung im Bausektor. Es ist für uns ein Schulterschluss, dass wir dasselbe Nachhaltigkeitsverständis haben. Das zeigt, dass wir eine gemeinschaftliche Transformation voranbringen wollen.

Frau Dr. Lemaitre, vielen Dank für das Gespräch!