Welchen Einfluss hat Ihrer Meinung nach der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft auf die deutsche Wirtschaftspolitik?

Der BNW nimmt eine sehr wichtige Rolle ein, insbesondere als Gegenpol zu den etablierten Wirtschaftsverbänden. Während viele Lobbyakteure in Berlin versuchen, nachhaltiges Wirtschaften zu verhindern oder Auflagen abzumildern – man denke nur an die Debatten um das Lieferkettengesetz als vermeintliches „bürokratisches Monster“ – argumentiert der BNW progressiv und konstruktiv. Statt über die zusätzlichen Belastungen zu jammern, zeigen wir auf, dass Nachhaltigkeit nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig für unsere wirtschaftliche Zukunft ist.

Was genau bedeutet das? Wie gestaltet der BNW diese progressive Rolle?

Der BNW versteht sich als Sparringspartner der Politik, der Wissen vermittelt und darstellt, wie nachhaltiges Wirtschaften in der Praxis aussieht und wie es gelingen kann. Dabei stützen wir uns auf die Erfahrungen unserer Mitglieder, die seit Jahren erfolgreich nachhaltig wirtschaften. Wir zeigen auf, welche Stolpersteine es gibt und welche Best Practices sich bewährt haben. Wir geben auch immer wieder Stellungnahmen zu aktuellen politischen Themen, wie z. B. zur Kreislaufwirtschaft, zur Schuldenbremse oder zur CO₂-Bepreisung ab. Dabei zeigen wir auf, welche Maßnahmen aus der Sicht nachhaltig wirtschaftender Unternehmen sinnvoll sind und welche eben nicht. Unser Ziel ist es, dass nachhaltiges Wirtschaften zum Standard wird und die Politik die dafür notwendigen Rahmenbedingungen schafft.

Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Stimme in der Politik Gehör findet?

Unsere Geschäftsstelle in Berlin ist hervorragend mit Politikern aller demokratischen Parteien vernetzt. Einmal jährlich veranstalten wir zudem politische Tage in Berlin, bei denen wir gezielt Gespräche mit Abgeordneten und Entscheidungsträgern führen. Dabei stellen wir fest, dass sich immer mehr Türen für uns öffnen. Unsere Perspektive wird geschätzt, gerade weil wir eine Gegenposition zu den üblichen Klagen über Nachhaltigkeit einnehmen. Das zeigen auch unsere Erfolge. Bei der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie und beim Infrastrukturdialog saß der BNW am Verhandlungstisch. Außerdem sind wir in unserem europäischen Dachverband organisiert. In Berlin und Brüssel repräsentieren wir so eine moderne und nachhaltige Wirtschaft – und sind damit nicht allein. Erst kürzlich haben wir in einem branchenübergreifenden Appell klar gezeigt: die Wirtschaft fordert ein klimaneutrales Deutschland bis 2045  und mehr Investitionen in Nachhaltigkeit. Außerdem sind wir laut für die Demokratie. Vor den Europawahlen haben wir mit mehr als 700 Unternehmen ein Zeichen für Vielfalt und Nachhaltigkeit gesetzt. Das sind große Erfolge, die zeigen – die nachhaltige Wirtschaft ist keine Nische, sondern die Zukunft. 

Gibt es aktuell Entwicklungen oder Trends, die Sie mit Sorge beobachten?

Was ich mit großer Sorge beobachte, ist das Narrativ, dass Nachhaltigkeit gleichbedeutend mit überbordender Bürokratie ist und die Wirtschaft bremst. Das ist nicht nur irritierend, sondern auch gefährlich, da es die Realität verzerrt. Nachhaltiges Wirtschaften ist zukunftsorientiert. Unternehmen, die sich den Herausforderungen stellen und nachhaltig wirtschaften, sind zukunftsfähig. Protektionismus an dieser Stelle ist der falsche Weg. Bestenfalls schont er die Unternehmen kurzfristig, macht sie aber nicht zukunftsstark. Wir brauchen Problemlöser und keine Problem-Ignorierer. Der BNW spielt hier eine wichtige Rolle, indem er immer wieder den Finger in die Wunde legt und deutlich macht, dass eine Rückwärtsbewegung im Hinblick auf Nachhaltigkeit falsch ist.

Welche Rolle spielen Banken und die Finanzwirtschaft bei der nachhaltigen Transformation?

Banken werden Gatekeeper für Nachhaltigkeit, auch durch neue Vorgaben wie ESG oder CSRD und die damit verbundenen finanziellen Komponenten. Das ist eine große Chance, weil sich hier eine finanzielle Bewertung mit Nachhaltigkeitskriterien verknüpft.

Jede einzelne Bank, aber auch Fondsgesellschaften, tragen eine große Verantwortung, da sie darüber entscheiden, wohin Kredite fließen. Sie müssen klare Wertevorstellungen und Kriterien haben, wem sie Geld geben und wem nicht. Sie müssen erkennen, dass zukunftsorientierte Unternehmen nicht diejenigen sind, die sich vor Nachhaltigkeitsanforderungen wegducken, sondern diejenigen, die sie professionell und kompetent umsetzen und Finanzströme dementsprechend verantwortungsvoll lenken.

Der Klimawandel spielte im Wahlkampf vor den Bundestagswahlen kaum eine Rolle. Und auch die neue EU-Regierung scheint den Green Deal aufzulockern. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Klimaschutz bremst die Wirtschaft nicht aus, er erhält uns Lebens- und Arbeitsgrundlage. Mit dem BNW stehen wir für 200.000 Arbeitsplätze, die in Zukunftstechnologien, Kreislaufwirtschaft und moderne Infrastruktur investieren. Wir fordern daher von der zukünftigen Regierung und von allen demokratischen Parteien, sich zu den Klimazielen und Investitionen in die Modernisierung der Wirtschaft zu bekennen. Auch die neue EU-Regierung sollte sich nicht rechtspopulistischen Strömungen beugen und die Umsetzung des Green Deal nicht aufweichen. Mit großer Sorge beobachten wir daher die „Omnibus“-Vorschläge", die drei regulatorische Leuchttürme des European Green Deals zusammenlegen und überarbeiten sollen, um Unternehmen von Verwaltungslasten zu befreien: die Rechtsvorschriften zu Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD), zu Sorgfaltspflichten von Unternehmen (CSDDD) und zur EU-Taxonomie.

Unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus führt das Omnibus-Verfahren dazu, dass Unternehmen künftig weniger Verantwortung für Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz übernehmen müssen. Wichtige Gesetzesvorhaben wie der digitale Produktpass, die Richtlinie zur Verhinderung von Greenwashing oder Kreislaufwirtschaftsthemen stehen noch aus. Wir plädieren dafür, dass diese Vorhaben wie geplant von der EU verabschiedet und dann in Deutschland umgesetzt werden. Auch hier ist der BNW wichtig, um eine Gegenposition zu beziehen und deutlich zu machen, dass nicht die gesamte deutsche Wirtschaft fordert, Nachhaltigkeit nachrangig zu behandeln.

Was hat Sie persönlich dazu motiviert, eine Aufgabe im Vorstand des BNW zu übernehmen?

Mich treibt seit über 15 Jahren der Gedanke an eine Transformation in der Wirtschaft an – eine Transformation, die auf gesundem Menschenverstand basiert. Wir müssen Verantwortung für unser Handeln übernehmen, nicht nur hier vor unserer Haustür, sondern entlang der gesamten Lieferkette, für die Produkte, die wir herstellen, und für die Menschen, mit denen wir arbeiten. Eigentlich ist das logisch, sollte man meinen – doch leider nicht selbstverständlich.

Unser Wirtschaftssystem misst Unternehmen hauptsächlich an Finanzkennzahlen und macht es diesen dadurch  leicht, wenig bis gar keine Verantwortung zu übernehmen.  Das finde ich  angesichts der globalen Herausforderungen – Klimawandel, Artensterben, soziale Ungleichheit, Fluchtbewegungen etc. – völlig absurd. Die Wirtschaft ist ein Hauptverursacher dieser Probleme, kann aber auch ein wesentlicher Teil der Lösung sein. Doch wenn Unternehmen für ihr Engagement abgestraft werden, indem sie  höhere Kosten zu tragen haben, dann läuft etwas falsch. Es kann nicht sein, dass diejenigen am besten dastehen, die Mensch und Natur am meisten schaden.

Ich engagiere  mich für die Schaffung politischer Rahmenbedingungen, wie bspw. steuerliche Anreize für nachhaltige Unternehmen, die bewirken,dass nachhaltiges Wirtschaften nicht die Ausnahme, sondern der Standard wird.

Wie sind Sie zum BNW gekommen?

Ich bin seit etwa fünf Jahren dabei. Der BNW hat mich angesprochen. Mit Vaude sind wir seit 2011 Mitglied der Gemeinwohl-Ökonomie und engagieren uns zudem stark in unserer Branche, sowohl in der European Outdoor Group als auch im Bundesverband der Sportartikelindustrie. Wir teilen unser Nachhaltigkeitswissen und für mich war es ein logischer Schritt, über die Branche hinaus aktiv zu werden. 

Sie haben bei Vaude eine verantwortungsvolle Position. Wie finden Sie Zeit für die Verbandsarbeit?

Wir haben alle zwei Wochen Vorstandssitzungen, die ich fest in meinen Alltag einplane. Hinzu kommen Termine für Mitgliederversammlungen, Kongresse und politische Tage in Berlin. Es ist eine Frage der Planung und Priorisierung. Beim Lieferkettengesetz war der Zeitaufwand natürlich höher, da es viele politische Diskussionen und kurzfristige Entwicklungen gab – das war zeitweise wie ein Krimi. In solchen Zeiten ist dann mehr zu tun.

Das Lieferkettengesetz ist ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit im Verband. Was beinhaltet dies konkret?

Nachdem das EU-Lieferkettengesetz im vergangenen Jahr verabschiedet wurde, ist nun bereits eine umfassende Überarbeitung in Planung. Im Rahmen eines Omnibus-Verfahrens sollen die Nachhaltigkeitsrichtlinien Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und die EU-Taxonomie zusammengeführt werden. Damit wird die Verantwortung von Unternehmen für Mensch und Natur massiv verwässert. Das ist ein fatales Signal: Für den Schutz der Menschen und der Umwelt in unseren Lieferketten. Für all die Unternehmen, die Nachhaltigkeit ernst nehmen und bereits investieren, um ihrer eigenen Verantwortung gerecht zu werden und für die Glaubwürdigkeit Europas als Vorreiter einer zukunftsfähigen, fairen Wirtschaft. Europa verpasst die Chance angesichts des globalen Backlashes hinsichtlich demokratischer und humaner Werte mutig und einen eigenständigen werteorientierten Weg in die Zukunft zu definieren.

Nachhaltigkeit, egal ob sozial oder ökologisch, ist mit gebündelten Kräften einfacher zu realisieren. Audits, Maßnahmenpläne, Kosten und Risiken lassen sich gemeinsam gestalten und teilen. Bei Vaude beschäftigen wir uns schon seit 15 Jahren intensiv mit Lieferketten und wissen als mittelständisches Unternehmen, was machbar ist. Wir haben eine hohe Expertise aufgebaut und uns deshalb auch klar gegen die ablehnende Haltung eines Großteils des deutschen Mittelstands positioniert, und zwar aus zwei Gründen:

Erstens, wenn Unternehmen sagen, das sei zu viel und nicht machbar, ist das nicht zukunftsorientiert. Es geht darum, eine Kernkompetenz im Bereich Lieferketten aufzubauen – nicht nur aus ethischen Gründen, sondern auch aus betriebswirtschaftlichen.

Und zweitens geht es um gleiche Wettbewerbsbedingungen. Es kann nicht sein, dass diejenigen abgestraft werden, die sich für faire weltweite Lieferketten engagieren und dadurch preislich nicht mithalten können, während der Großteil der deutschen Wirtschaft sich nicht daran halten. 

Ihr Verband hat mittlerweile über 650 Mitglieder. Welche konkreten Vorteile bietet der BNW seinen Mitgliedern?

Der BNW bietet ein starkes Netzwerk, das Unternehmen mit dem gleichen Mindset und ähnlichen Werten zusammenbringt. Es gibt hervorragende Fachgremien, beispielsweise zur Kreislaufwirtschaft oder zu Energiefragen, in denen sich die Unternehmen des Verbandes aus verschiedenen Perspektiven vernetzen und austauschen können, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Eine weitere sehr positive Entwicklung sind die Regionalgruppen, die in vielen Bundesländern entstanden sind. Hier können sich die Mitgliedsunternehmen auf regionaler Ebene noch intensiver austauschen und zusammenarbeiten. Der Austausch und die Zusammenarbeit im Netzwerk sind enorm wertvoll, denn Nachhaltigkeit ist immer Teamsport – allein kann man wenig erreichen, gemeinsam aber viel.

Welche Kriterien muss ein Unternehmen erfüllen, um Mitglied im Verband zu werden?

Nachhaltigkeit muss im Kerngeschäft verankert sein. Es reicht nicht aus, nur ein einzelnes nachhaltiges Produkt anzubieten, während der Rest des Unternehmens nicht nachhaltig agiert. Wir erwarten ein glaubhaftes Engagement, das gesamte Kerngeschäft nachhaltig auszurichten. Die Unternehmen müssen sich auf diesem Weg befinden und entsprechend im Einklang mit den Grundsätzen des BNW stehen.

Wie wird die Übereinstimmung mit diesen Kriterien geprüft?

Jede Mitgliedsanfrage wird sorgfältig geprüft. Einmal im Monat tritt der Vorstand zusammen und begutachtet die neuen Anträge. In seltenen Fällen gibt auch die Geschäftsstelle bereits im Vorfeld eine Einschätzung ab und rät von einer Mitgliedschaft ab. Zudem besteht die Möglichkeit, Mitglieder auszuschließen, wenn sie gegen unsere Grundsätze verstoßen. Das ist wichtig, um die Integrität und Glaubwürdigkeit des Verbandes zu wahren.

Was sollten wir Ihrer Meinung nach in den Jahren 2024/2025 gemeinsam erreichen?

Wir müssen ein starkes Sprachrohr sein. Es ist entscheidend, dass wir uns hörbar und sichtbar machen. Wir müssen verhindern, dass sich in der Politik der Gedanke verfestigt, Nachhaltigkeit sei etwas, auf das man verzichten könne. Nachhaltigkeit ist genau das, was Unternehmen zukunftsstark macht. Diese Botschaft muss von allen Seiten verstärkt werden, und hier sind die Mitglieder und der Verband als starke Stimme wichtig.

Welche Botschaft möchten Sie darüber hinaus an die Welt senden?

Gerade in diesen Zeiten ist das Gefühl der Hilflosigkeit angesichts der vielen Krisen groß. Viele Menschen fragen sich, was sie tun können und ob der oder die Einzelne überhaupt etwas ausrichten kann. Sie oder er kann! Jede: r Einzelne hat Macht, nicht nur als Bürger: in durch ihre/seine Wahlstimme, sondern auch als Konsument: in. Das ist spürbar.

Als wir vor 15 Jahren mit der nachhaltigen Transformation begonnen haben, wurde uns immer wieder gesagt, dass Kund*innen nicht danach fragen. Das hat sich grundlegend geändert. In den letzten Jahren bitten uns immer mehr Unternehmen um Unterstützung und nehmen an Schulungen unserer VAUDE Academy teil, die Organisationen bei ihrer nachhaltigen Transformation berät und begleitet. Denn die Stimmen der Kund*innen werden gehört – einerseits durch ihren Kauf nachhaltiger Produkte, andererseits durch das Nachfragen: Wo kommt das her? Wie wird das gefertigt? Woraus wird es gemacht? Die interessierte Kundin, der interessierte Kunde, hat Macht.

Diese Macht hat unsere Transformation erst möglich gemacht, weil sich immer mehr Kundinnen und Kunden dafür interessiert und damit das Interesse des Handels geweckt haben. Die gefühlte Hilflosigkeit ist viel größer als dies in der Realität der Fall ist. Jede: r Einzelne hat einen Gestaltungsspielraum – als Kund: in, als Nachbar oder am Arbeitsplatz. Es geht darum, Haltung zu zeigen und die Stimme zu erheben. Das hat einen spürbaren Einfluss. Doch wir brauchen jede:n Einzelne:n.