Den Begriff „Komplementäre Währungen“ vertrat in der Öffentlichkeit besonders Bernard Lietaer (1942-2019),ein Finanzexperte aus Belgien, der u. a. Präsident des elektronischen Zahlungssystems der belgischen Nationalbank gewesen ist. Er sah dabei immer deutlicher, wie instabil das konventionelle Finanzsystem wurde, besonders durch wachsende Konzentrationsprozesse im Bankensektor. Lietaer: „Wir sollten die Macht des Geldes erkennen, damit unsere Gemeinschaften nicht ersticken.“

Zudem sagte der Finanzexperte im Interview mit den „Tauschsystem-Nachrichten“: „Ich vergleiche Komplementäre Währungen gerne mit ‚Frequent Flyer Miles‘, die zum Beispiel die ‚Deutsche Lufthansa‘ mit ihrem ‚Miles &More‘-Programm verbreitet.“ Der Grund: Die „Meilen“ der Lufthansa sind ein eigenständiges Zahlungsmittel, das in einem geschlossenen Kreislauf zirkuliert. Solche „Komplementäre Währungen“ existieren parallel zum konventionellen Geld – und machen es keinesfalls überflüssig.

Zusätzlich entwickelten die „Meilen“ der Lufthansa ein Eigenleben: „Plötzlich konnte man mit ihnen Dienstleistungen bezahlen“ so Lietaer, „die nichts mehr mit den Fluglinien zu tun hatten.“ Etwa Taxi-Fahrten, Hotelzimmer oder Zeitschriften. Eine Ersatzwährung war geboren, die Fluggesellschaften als privates Geld in Umlauf brachten – allerdings nur im jeweiligen System der Unternehmen.

Was in Großkonzernen funktioniert, lässt sich auch als Graswurzel-Bewegung realisieren. So schreibt der Ökonom Volker Teichert: „Tauschringe erlauben ihren Mitgliedern eine eigene ‚Geldschöpfung‘ in Form einer sogenannten Tauschring-Währung und etablieren auf diese Weise einen separaten kleinen lokalen Wertschöpfungskreislauf.“

Tauschringe? Diese Bezeichnung führt leicht in die Irre. Denn sie sind kein Rückfall in die Tauschwirtschaft, sondern arbeiten mit eigenem „Geld“, das sie selbst unter ihren Mitgliedern in Umlauf bringen. Die Initialzündung dabei: Jedes Mitglied hat am Anfang ein Konto, das auf Null steht. Dann nimmt ein Mitglied die Leistung eines anderen in Anspruch – und bezahlt ihn in einer Tauschring-Währung. Dazu geht sein Konto in den Minusbereich, während das Konto des Leistungserbringers in den Positivbereich springt, natürlich mit demselben Betrag. Damit bleibt der Saldo aller Konten immer null.

Aus dem Nichts ist ein Zahlungsmittel entstanden, so wie es auch Zentralbanken mit Euros oder Dollars praktizieren, wenn sie die Magie der Geldschöpfung betreiben. Der erste Unterschied: Tauschringe schaffen ihr Geld, indem Mitglieder Leistungen erbringen. Hingegen bringen Zentralbanken „frisches Geld“ in Umlauf, indem sie Geschäftsbanken Kredite „aus dem Nichts“ gewähren. Damit refinanziert sich der Bankensektor, um schließlich selbst Kredite an Wirtschaft, Haushalte und Staat auszugeben. Alles gegen Zins und Zinseszins.

Das konventionelle Geldsystem basiert auf zinspflichtiger Verschuldung. Das zeigt den zweiten Unterschied zu Tauschringen: Dort sind keine Zinsen zu zahlen, weder auf die Guthaben, noch auf die Schulden. Eine bewusste Absage an die Zinswirtschaft, die mit ihrer exponentiellen Dynamik große Schäden anrichtet. Das hatte auch Lietaer erkannt.

Gleichzeitig wurde diese Eigenschaft zur Achilles-Ferse der Tauschringe: Hohe Schulden bleiben einfach stehen, sie haben keine negativen Konsequenzen. Ebenso lassen sich fleißige Mitglieder nicht zwingen, große Guthaben in Nachfrage umzusetzen. So droht sich das System festzufressen. 

Passiert das nicht, kann ein „lokaler Wertschöpfungskreislauf“ (Teichert) in Gang kommen, der bewusst von der übrigen Ökonomie abgekoppelt ist. Dazu zählt auch, dass sich Tauschring-Geld nicht in Landeswährung wechseln lässt. So kann keine Kaufkraft aus dem System abfließen; die Währung des Tauschrings wird verwendet, wo sie entstanden ist. So hätten Tauschringe das Potenzial, eine lokale Ökonomie zu fördern, die eine stärkere Resilienz entwickelt – angesichts globaler Erschütterungen wie der Weltfinanzkrise 2008/9.

Besteht aber ein zu geringes Angebot an Gütern und Dienstleistungen, geht diese Rechnung nicht auf. Teichert schreibt dazu: „Dann ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich Angebot und Nachfrage ausgleichen. Ab einer Größe von etwa 80 bis 100 Mitgliedern sind Tauschringe gut aktionsfähig.“ 

Dieser soziale Anspruch spiegelt sich ebenfalls in der „Preisgestaltung“ im „Tauschring Glinden“. Sie ist ganz einfach: Wer eine Stunde für ein anderes Mitglied tätig ist, erhält von ihm 20 Glinta – egal, ob er ein kniffliges IT-Problem löst oder auf Katzen aufpasst. Es geht immer um Lebenszeit, die zur Verfügung gestellt wird, jede Arbeit ist dabei gleich viel wert. - Ein ungewohnter Gedanke in einer Gesellschaft, die völlig überzogen auf Leistung fixiert ist. Auf diese Weise regen Tauschringe dazu an, neu über verhärtete Glaubensmuster in der Ökonomie nachzudenken.

Der erste Tauschring der Welt ging 1982 an den Start. Michael Linton rief ein „Local Exchange and Trading System“ (LETS) ins Leben, was übersetzt bedeutet: „Lokales Austausch- und Handelssystem“. Das geschah im kanadischen Courtenay, geplagt von einer Wirtschaftskrise. Lintons Antwort: Er erfand den „Green Dollar“ als Tauschring-Währung. Schon 1990 hatte sein LETS 600 Mitglieder und pro Jahr einen Umsatz von 325.000 „Green Dollar“. Darauf verbreitete sich die Idee in Australien, Neuseeland, Großbritannien und den USA. Seit den 1990er Jahren entstanden auch in Europa Tauschringe. Die Website tauschringadressen.de zählt „im Moment“ über 200 Tauschringe in Deutschland. Sie arbeiten oft als organisierte Nachbarschaftshilfe, mit rund 100 Mitgliedern, die bescheidene Umsätze machen.

Ganz anders auf Sardinen, wie Dr. Leander Bindewald (Lancaster University) in seiner Dissertation schildert: Die Weltfinanzkrise 2008/9 war stark spürbar. Als Reaktion gründeten 2010 vier junge Unternehmer „Sardex“, ein Tauschring, der zunächst für Geschäftsleute gedacht war. Anna Vizzari von „Altroconsumo“ erklärt: „Sardex ist ein Mechanismus, der in der Krise Unternehmen mit Sauerstoff versorgt hat, so dass die Liquidität für andere Zwecke genutzt werden konnte.“ Der Sauerstoff war die Tauschring-Währung, wodurch Geschäfte in Euro leichter wurden.

Dabei arbeitet „Sardex“ fast nach denselben Prinzipen wie deutsche Tauschringe: kein Kaufkraftabfluss durch einen geschlossenen Kreislauf, Zinsfreiheit auf Guthaben und Schulden – und lokale Geldschöpfung durch „mutual credit“, wie er auch in Deutschland üblich ist. Es gibt aber einen großen Unterschied: „Sardex“ wuchs schnell, es gab erhöhte Investitionen in das System. 2016 wurde das Unternehmen zu einer Aktiengesellschaft, die über 50 Mitarbeiter beschäftigt. Ein Jahr später lag das Volumen der Transaktionen bei 212 Millionen Einheiten, was demselben Gegenwert in Euro entsprochen hat. Eine echte Erfolgsgeschichte!

Dazu hat sicher auch die „goldene Regel“ beigetragen, die „Sardex“ auf seiner Website veröffentlicht hat: „Die Mitglieder sollen nur so viele Einheiten in Sardex ausgeben, wie sie in einem bestimmten Zeitraum voraussichtlich wieder einnehmen werden.“ Denn: Auf Guthaben gibt es keine Zinsen. Wer seine Tauschring-Währung nicht verwendet, hat daher keinen Vorteil. Etwas strikter sind die Regeln für negative Kontostände: „Sardex“ verhängt Strafzahlungen in Euro, sobald ein Mitglied seinen negativen Kontostand nicht in einem Jahr ausgleicht. Wer sich nicht an diese Regeln hält, kann juristischen Ärger bekommen. Hinzu kommt: Jedes Mitglied erhält ein individuelles Kreditlimit, abhängig von seinen Umsätzen.