Wir haben die Freie Waldorfschule am Prenzlauer Berg in Berlin besucht und mit Esther Knoblich, der Geschäftsführerin, über ihre Entstehungsgeschichte gesprochen. Denn innerhalb kürzester Zeit gründeten 16 Familien den Förderverein Schulemachen e.V. und eine eigene Waldorfschule.

Von seinem grauesten Grau zeigt sich Berlin im November beim Besuch der Redaktion in der Freien Waldorfschule am Prenzlauer Berg. Eine dichte Hochnebelschicht hängt über der Stadt. Trotz der fast schon winterlichen Temperatur sind einige Kinder draußen im Hof vor der Schule und sehen zwei Erziehern beim Holzsägen zu. Die renovierungsbedürftige Fassade des schmucklosen kastigen Gebäudes, das ganz am östlichen Rand des Stadtteils Prenzlauer Berg inmitten eines Wohnviertels liegt, lässt von außen nicht erahnen, was sich drinnen alles an liebevollen Details in den individuell eingerichteten Klassen- und Hortzimmern verbirgt. Seit August dieses Jahres ist das Schulgebäude, das aus DDR-Zeiten stammt, das neue Zuhause für die Freie Waldorfschule am Prenzlauer Berg.

Es ist viel passiert
Schon zweimal ist die Schule seit ihrem fünfjährigen Bestehen umgezogen. Begonnen hatten die Odyssee und das Abenteuer im Jahr 2006. Damals trat der Beschluss des Berliner Senats in Kraft, dass alle Kinder eines Jahrgangs eingeschult werden müssen, die im Einschulungsjahr sechs Jahre alt werden. Somit gilt auch für die Kinder eine Schulpflicht, die aufgrund ihres Entwicklungsstands eigentlich noch nicht bereit für die Schule sind. Waldorfschulen bieten für dieses Problem mit ihren Vorklassen eine Lösung an: Diese besonderen Klassen, die einen sanfteren Übergang vom Kindergarten in die erste Klasse ermöglichen, sind eine Art Vorschule, die den Kindern Raum und Zeit für eine altersgemäße Entwicklung gibt.
Schon vor dem Senatsbeschluss war der Andrang auf die Berliner Waldorfschulen recht groß. Der neue Einschulungszwang aber ließ zu Beginn des Jahres 2006 die Bewerberzahlen noch einmal deutlich in die Höhe schnellen. Vor allem in Stadtteilen, die sich großer Beliebtheit bei jungen Berliner Familien erfreuen, ist die Nachfrage nach Schulplätzen überdurchschnittlich hoch, so auch in Prenzlauer Berg. Aufgrund des großen Andrangs musste 2006 die Freie Waldorfschule Berlin-Mitte die Bewerbungen vieler Eltern ablehnen. Anstatt sich mit der Situation abzufinden, wurde eine Gruppe von Eltern damals einfach selbst aktiv. Bei einem Treffen der betroffenen Eltern, die ihre Kleinen nicht einfach gezwungenermaßen in die erste Klasse einer staatlichen Schule geben wollten, brachte eine Mutter mit dem Satz „Dann gründen wird doch selbst eine Schule!“ den Stein ins Rollen. Gesagt, getan und das ganz schnell. 16 Familien gründeten den Förderverein Schulemachen e.V. und bildeten einen Initiativkreis für eine neue Schule.

Jeder bringt sich sein
„Der Initiativgedanke der ersten Eltern lebt auch heute noch in dieser Schule. Auch gerade weil diese nicht aus einer gesättigten Situation entstanden ist, sondern aus einem konkreten Bedarf. Die Eltern wollten für ihre kleinen Kinder definitiv eine andere Schule“, so Esther Knoblich, Geschäftsführerin des Fördervereins Schulemachen. Eltern und Pädagogen sind aktive Mitglieder im Förderverein und in unterschiedlichen Arbeitskreisen wie Öffentlichkeitsarbeit, Bauen oder Finanzen tätig. „Wir haben Menschen mit einem sehr hohen Anspruch. Menschen, die sich diese Schule bewusst ausgesucht haben und bereit sind, sie mit ihrer Kraft und ihrem Engagement zu tragen,“ so Knoblich.

Für Zögern und langes Planen war in der Gründungsphase keine Zeit, denn am 1. August 2006 brauchten die Kinder eine Schule. Und das war nur mit viel Eigeninitiative der Eltern zu erreichen. Carmen Weiß von der Elternschaft war bei dem impulsgebenden Treffen noch nicht dabei, ist aber kurze Zeit später zu der Initiative hinzugestoßen, weil auch sie für ihre Tochter auf der Suche nach einer Alternative zur ersten Klasse an einer staatlichen Schule war. Sie glaubt, „das war die schnellste Schulgründung, die es bei den Waldorfs jemals gab!“ Die Trägerschaft für die Initiative übernahm die Waldorfschule Berlin-Mitte. Und als die erfahrene Waldorfpädagogin Erika von Lucke die engagierten Eltern kennenlernte, entschloss sie sich spontan, als Gründungslehrerin mitzuwirken. Die Zusammenarbeit mit den Eltern hat sie dabei als sehr positiv empfunden: „Die Eltern haben Sehnsucht danach, sich aus der Freiheit zu organisieren. Nicht, dass jemand vorschreibt, das muss so oder so sein!“

Auch für die Eltern begann mit der Schulgründung eine sehr bewegte Zeit, in der sie nicht nur theoretisch, sondern auch ganz praktisch erfuhren und weiterhin erfahren, was es eigentlich heißt, „Schule zu machen“. Für den Beginn wurde gegenüber der Mutterschule eine Wohnung gefunden, in der die allererste Klasse der neuen Schule mit 16 Kindern zunächst unterschlüpfen konnte. Da wenig finanzielle Mittel vorhanden waren, wurde von Anfang an das tatkräftige Eigenengagement der Eltern und Pädagogen gebraucht: Wände mussten gestrichen, von Möbeln über Geschirr bis hin zu Spielzeug alles besorgt werden und auch alle Verwaltungsaufgaben mussten erledigt werden.

 „Das Glück über das gemeinsame Tun“
Im zweiten Jahr der Schule hieß es für die Schulgründer, noch mal ganz von vorn anzufangen, denn die Wohnung bot nur Platz für eine Klasse. Erst kurz vor den Sommerferien 2007 stand fest, dass die Freie Waldorfschule am Prenzlauer Berg zur Untermiete bei der neu gegründeten „Berlin Kids International School“ in ein altes Plattenbauschulgebäude einziehen konnte, das erst einmal genügend Platz für die nun stetig wachsende Schulgemeinschaft bot.

Doch auch hier waren die Räumlichkeiten alles andere als bezugsfertig. Während der Sommerferien renovierten die Familien sowie das Lehrer- und Erzieherkollegium zwei durch Vandalismus in Mitleidenschaft gezogene Etagen der Schule erneut in Eigenregie und richteten dieses Mal gleich mehrere Klassen-, Hort- und Werkräume ein. Trotz des Kraftakts – zusätzlich zu Job und Familie –, der so manchen an seine Belastungsgrenzen brachte, betont Diana Kaufmann vom Kollegium das „Glück über das gemeinsame Tun“ und die Möglichkeit, sich mit anderen Menschen zu verbinden, denen man sonst nicht begegnet wäre. „Es ist doch noch mal was anderes, wenn man gemeinsam auf der Leiter steht und die Decke spachtelt“, so Kaufmann.

Alles auf Anfang
Auch den zweiten Standort der Schule hatten Eltern und Pädagogen in dem Bewusstsein ausgestaltet, dass dieser aufgrund eines begrenzten Mietvertrags nur eine Übergangslösung war. Während die Schule jedes Jahr um eine weitere Klasse wuchs, suchte der Baukreis der Schule nach einem geeigneten Gebäude in den nordöstlichen Bezirken von Berlin. Und dieses Mal wurde es ernst: Anstatt zu mieten, stand nun der Kauf und die umfassende Sanierung eines leer stehenden Schulhauses mitsamt dem umliegenden Gelände in der Gürtelstraße an. Ohne Kredit ein unmögliches Unterfangen, denn staatliche Fördermittel gab es auf die Schnelle nicht.

Esther Knoblich erinnert sich noch gerne an den ersten Besuch von Götz Feeser, dem zuständigen Kreditkundenbetreuer der Triodos Bank. Als Feeser Anfang 2011 zum ersten Mal das heutige Schulgebäude der Waldorfschule besichtigte, war das Haus nach einem langen und harten Winter in einem sehr schlechten Zustand, da es mehrere Jahre leer gestanden hatte und nicht mehr geheizt worden war. „Trotzdem hat er gesagt, das ist ein tolles Projekt!“, so Knoblich. Die dann folgende Zusammenarbeit hat sie als sehr vertrauensvoll, mitgehend, menschlich und entgegenkommend erlebt.

Wahrnehmen, was der Kunde braucht
Teile der Schulgemeinschaft hatten Vorbehalte gegenüber dem großen Investment. Sie hatten Angst vor den hohen Schulden, sich zu übernehmen und in eine Abhängigkeit zu begeben. Knoblich betont, dass hier der ethische Ansatz der Triodos Bank sehr geholfen habe. Und weil die Triodos Bank sehr genau hingehört und hingeschaut hat, was gebraucht wird, hat sie eine ganz individuelle Idee einer Spendengemeinschaft gefunden: Das neue Schulgebäude sollte auch mithilfe von Spenden der Eltern finanziert werden. Die Triodos Bank entwickelte zusammen mit Vertretern der Schule ein Finanzierungsmodell für diese Spenden, sodass auch Familien, denen das Geld nicht ohne weiteres zur Verfügung stand, in das gemeinsame Bauprojekt einzahlen konnten.

 Andere Wege zu gehen, genau hinzuhören und hinzusehen, was gebraucht wird, gehört zum Selbstverständnis der Triodos Bank. Götz Feeser führt aus: „Das Besondere an diesem Projekt ist, dass wir hier als Bank wirklich etwas ermöglichen können. Hier können wir einen Beitrag dazu leisten, dass so etwas ins Leben kommen kann und dann auch wirklich lebt!“

Lebendig wird es in der Gürtelstraße auch in der weiteren Zukunft bleiben. Noch ist nicht das ganze Gebäude fertig renoviert, für zukünftige Klassen muss unter anderem noch die dritte Etage fertiggestellt werden. Die Schule hat sich seit 2006 sehr gut entwickelt. Aktuell besuchen 128 Kinder die fünf Klassen der Waldorfschule. Die erste Brückenklasse von damals ist jetzt in der fünften Klasse und jedes Jahr kommt eine erste Klasse mit 26 Kindern dazu. Mittlerweile sind die Anmeldezahlen stabil und seit letztem Jahr ist das Interesse sogar so groß, dass zum ersten Mal nicht alle Kinder aufgenommen werden konnten. Vielleicht ist diese Geschichte ein Antrieb für andere Eltern und Pädagogen, auch mal selbst Schule zu machen.

Was Waldorfschulen anders machen
227 Waldorfschulen gibt es gegenwärtig in Deutschland. Der Ansatz dieser freien, nichtstaatlichen Schulen basiert auf der anthroposophischen Lehre von Rudolf Steiner. Je nach Bundesland werden unterschiedliche Ausbildungen für Waldorfpädagogen gefordert. Berlin verlangt beispielsweise ein fachspezifisches Hochschulstudium und zusätzlich eine spezielle, zweijährige Ausbildung zum Waldorfpädagogen.

Neben den klassischen Schulfächern wie Rechnen oder Fremdsprachen wird an den Waldorfschulen großer Wert auf einen künstlerischen und handwerklichen Unterricht gelegt, der an staatlichen Schulen kaum noch eine Rolle spielt. Der wichtigere Teil des Unterrichts findet in „Epochen“ statt, in denen sich die Kinder intensiv auf einen Stoff einlassen können. Während einer Epoche behandelt der Hauptunterricht von acht bis zehn Uhr drei bis sechs Wochen lang das gleiche Thema. An Waldorfschulen kann jedes Kind nach seinem Tempo lernen, Sitzenbleiben gibt es nicht. Zudem werden die Kinder nicht benotet. „Es geht nicht darum, möglichst wenige Fehler zu machen. Das Kind wächst an der Auseinandersetzung mit dem Stoff“, so Erika von Lucke, die Gründungslehrerin der Freien Waldorfschule am Prenzlauer Berg.

Waldorfschulen besuchen heute schon lange nicht mehr nur die Kinder aus anthroposophisch orientierten Elternhäusern. Stellvertretend für viele Eltern sagt Carmen Weiss: „Das Lernen für Noten gefällt mir gar nicht.“ Ihr sei es wichtig, dass man das ganze Kind sehe und man auch mit körperlichen Übungen Dinge lerne. Zudem schätze sie auch das schöne Umfeld. So sind auch die Klassenzimmer in der Schule am Prenzlauer Berg liebevoll und individuell mit der persönlichen Note des jeweiligen Klassenlehrers gestaltet.

„Man schaut auf das Wesen und versucht das, was das Kind als Impuls mitbringt, wahrzunehmen und ihm einen Boden zu bereiten, damit es die Welt und das Leben ergreifen kann. Das Kind kann daran aufwachen, und es kann sich das herauslösen, was in ihm lebt“, fasst Erika von Lucke die Kernidee der Waldorfpädagogik zusammen.


Wer den Förderverein Schulemachen e.V. unterstützen möchte, kann an folgende Bankverbindung Spenden überweisen: Kto: 4017087200 | BLZ: 430 609 67. www.schulemachen.com sr